Bittere Mandeln
romantischen Gefühle ihm gegenüber hatten sich verflüchtigt.
Wann war diese Veränderung mit mir vorgegangen? Irgendwann zwischen dem Abend im Salsa Salsa und unserem unbeholfenen Zusammensein in Takeos Büro, als ich seinen Atem an meinem Hals gespürt hatte. Ja, ich war tatsächlich verliebt, allerdings in jemanden, den ich bei unserem letzten Treffen vor den Kopf gestoßen hatte. Vermutlich würde er noch niedergeschlagener sein, wenn ich ihm erzählte, daß die Person, die die Kayama-Keramiken verkauft hatte, nicht seine Mutter gewesen war, sondern höchstwahrscheinlich Sakura. Denn das bedeutete für ihn das Ende eines langgehegten Traumes.
David hüpfte zu seiner Tür im sechsten Stock, und ich beeilte mich, ihn einzuholen. Ich drückte auf die Klingel. Als Lila nicht reagierte, klingelte ich nach einer Minute noch einmal.
Da bekam ich es allmählich mit der Angst zu tun. Mr. Oi war sich ganz sicher gewesen, daß Lila sich in ihrer Wohnung aufhielt, und wenn sie nun nicht reagierte, bedeutete das vielleicht, daß sie verletzt war. Oder gar tot, dachte ich mit einem leichten Frösteln.
»David muß pinkeln!« David preßte die Hände gegen die Vorderseite seiner Hose.
»Ein bißchen mußt du dich noch gedulden«, sagte ich und wußte in dem Augenblick nicht so recht, was schlimmer wäre: eine tote Lila Braithwaite oder David, der auf den cremefarbenen Teppich im Flur pinkelte. Jedenfalls trug David keine Windeln, das hatte ich gemerkt, als ich ihn auf den Rücksitz von Mr. Ishidas Lieferwagen hievte.
Also klopfte ich laut und rief dabei Lilas Namen. Davids Jammern wurde immer dringlicher. Jetzt blieb mir nur noch eins, mein Schlüsselring. Hugh hatte nie den Schlüssel zu unserer gemeinsamen Wohnung zurückverlangt, und es bestand die geringe Möglichkeit, daß er in das Schloß von Lilas Tür paßte. Ich holte ihn aus meinem Rucksack und steckte ihn ins Schloß, doch er ließ sich nicht herumdrehen. Aber der Druck, den ich ausübte, bewegte die Tür. Sie war überhaupt nicht verschlossen gewesen.
David rannte sofort in Richtung Toilette. Ich konnte nur hoffen, daß er meine Hilfe dort nicht brauchte. Die Wohnung war wieder voller Kinderspielsachen, wie schon beim ersten Mal. Auf dem Beistelltisch stand ein wunderbares Blumengesteck mit himmelwärts gerichteten Kirschblütenzweigen, über die kunstvoll Gaze drapiert war. Das sah mir sehr nach Kayama-Schule aus. Ich ging auf der Suche nach Lila in die Küche. Dort entdeckte ich eine Flasche Champagner und zwei Gläser. Offenbar wollte sie damit ihren Mann zu Hause begrüßen. Dann warf ich einen Blick in die Kinderzimmer und schließlich noch ins Elternschlafzimmer: nichts als ungemachte Betten, und von Lila keine Spur.
Nachdem David die Toilettenspülung betätigt hatte, hüpfte er durch die Wohnung.
»Du und ich, wir können den ganzen Tag spielen«, gluckste er.
»Aber zuerst müssen wir Mami finden, und die ist nicht hier. Ich fürchte, ich muß dich wieder zu Mr. Oi bringen. Den magst du doch, oder?«
»Der Mann mit dem Lutscher?« fragte David.
»Wir könnten ja deine Lieblingsspielsachen mit runternehmen«, schlug ich vor. »Wo sind die?«
»Mein Doraemon. Der wohnt hier.« David führte mich in das Schlafzimmer seiner Eltern und deutete auf den Schrank.
»Na schön, dann lassen wir ihn mal raus.« Ich öffnete die Tür des begehbaren Schranks, um nach dem Spielzeug aus dem Zeichentrickfilm zu suchen.
Ich weiß nicht, wer zuerst schrie, aber plötzlich war in der Wohnung ein Mordslärm. Statt des Plüschtiers fand ich in dem Schrank zwei Menschen: Lila Braithwaite, die dort in einem schwarzen Spitzenbody kauerte, und Masanobu Kayama, den iemoto der Kayama-Schule, der lediglich mit einem Handtuch bekleidet war.
»Mami darf nicht im Schrank mit dem Doraemon spielen«, sagte David und zerrte eine große blaue Plüschkatze hinter dem iemoto hervor. »Der gehört mir.«
25
Ich flüchtete, aber die ganze Sache war eine Katastrophe. Lila zeterte, das sei unbefugtes Eindringen in die Privatsphäre, während Masanobu Kayama schrie, falls ich irgend jemandem von der Angelegenheit erzählen sollte, würde ich nie ein Lehrerdiplom bekommen. Und als musikalische Untermalung sang David die Erkennungsmelodie zu Doraemon.
Ich zitterte, als ich mit dem Aufzug hinunterfuhr, und erwiderte kaum Mr. Ois Abschiedsgruß. Dann setzte ich mich in den Lieferwagen und verhielt mich ein paar Minuten lang ganz ruhig, um meine Nerven wieder in den Griff zu
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