Bittere Mandeln
anfing, als er sich davon trennen mußte. Allmählich legte sich meine Verärgerung. Eigentlich war es noch ein Glück gewesen, daß David Braithwaite über jemanden gestolpert war, der ihn kannte, und nicht über einen Händler, der kein Englisch konnte. Während der folgenden Stunde hielt ich die ganze Zeit nach Richard und Lila Ausschau. Ohne Erfolg.
Um ein Uhr schließlich ließ das Geschäft nach, und ich kam zu dem Schluß, daß es wichtiger war, David zurückzubringen, als vielleicht noch ein paar Tausend Yen zu verdienen. Also band ich eine Kimonokordel an mein und an Davids Handgelenk, um ihn nicht zu verlieren, während ich immer wieder Porzellan zu dem ganz in der Nähe geparkten Lieferwagen brachte. Manche Leute empfanden diese Methode vielleicht als unmenschlich, aber David gefiel sie, als ich ihm erklärte, wir spielten Hund und Herrchen.
Dann gingen wir auf der Suche nach Davids Familie zweimal den ganzen Flohmarkt ab. Ich fragte alle Händler, ob sie einen kleinen blonden Mann mit zwei Kindern gesehen hätten. Schließlich hatte ich bei einer Frau gleich am Eingang Glück.
»Ein süßer blonder Engel in schwarzem Leder? Er hat einen Kinderwagen mit einem kleinen Mädchen geschoben, und bei ihm war auch noch ein Junge. Er hat mich gefragt, ob ich einen kleinen Jungen wie den da gesehen habe.« Dabei nickte sie mit dem Kopf in Richtung David.
»Wo sind sie hingegangen?« fragte ich.
»Durch den Markt und dann wieder zurück. Irgendwann haben sie dann die Straße überquert und sind zu einem Polizisten.«
»Bestens.« Ich ging mit David zu dem Polizisten in seinem Wachhäuschen, wo Richard den Jungen tatsächlich vermißt gemeldet hatte. Der Polizist sah sich David genau an, während ich ihm erklärte, daß ich das Kind, seine Mutter und seinen Onkel kannte. Offenbar sehr erleichtert, schlug er mir vor, den Jungen doch gleich nach Roppongi Hills zu bringen. Mir erschien das ziemlich leichtgläubig, aber vielleicht hatte der Mann ja auch nur Angst, mit dem kläffenden und jaulenden David allein bleiben zu müssen.
Als ich David schließlich auf dem Rücksitz des Lieferwagens angeschnallt hatte – Kindersitz hatte ich keinen, also hoffte ich, daß ich keinen Unfall bauen würde –, bellte und japste er immer noch wie ein kleiner Hund.
»Du wirst wahrscheinlich der erste Hund sein, der in Roppongi Hills wohnen darf«, sagte ich fröhlich, als ich losfuhr. Falls Lila nicht zu Hause war, würde sich sicher Mr. Oi, der Portier der Anlage, um den Jungen kümmern.
»Mami sagt, Hunde sind schmutzig.«
»Tja, im Vergleich zu dir hübschem kleinem Cockerspaniel würden andere Hunde natürlich schlecht abschneiden.«
»Nein, Dobermann!« kreischte David. »David ist ein Dobermann!«
Ich stellte den Lieferwagen vor Roppongi Hills in der zweiten Reihe ab und ging, David an der Hand, hinein.
Mr. Oi wirkte ziemlich erstaunt, als er mich mit meinem neuen Freund sah. »Mrs. Braithwaite ist zu Hause. Vermutlich weiß sie noch gar nichts davon, daß David verloren gegangen ist. Mr. Braithwaite ist diese Woche in Kanada, und so muß sie sich ganz allein um die Kinder kümmern.«
»Daß das nicht ganz leicht ist, habe ich schon letztes Mal gemerkt. Drei von der Sorte sind eine ziemliche Herausforderung.«
»Nun, wahrscheinlich hat sie sich auf ein bißchen Ruhe gefreut, aber ich würde trotzdem vorschlagen, daß wir ihr von David -chans Rückkehr berichten«, sagte Mr. Oi und betätigte die Gegensprechanlage. Um David das Warten zu versüßen, gab er ihm einen Lutscher in Form einer Kirschblüte.
»Es antwortet niemand«, sagte Mr. Oi sichtlich erstaunt. »Ich kann mir das nur so erklären, daß sie telefoniert und deshalb keine Zeit hat, auf die Gegensprechanlage zu reagieren. Zu Hause ist sie jedenfalls, denn ich habe vor kurzem einen Gast zu ihr hinauf gelassen.«
»Meinen Sie, ich sollte einfach hinaufgehen und klopfen?«
»Ja, bitte, tun Sie das, Miss Shimura. Wenn sie nicht reagieren sollte, können Sie ja mit dem Kind wieder zu mir kommen. Ich hätte hier einen kleinen tragbaren Fernseher, um den Jungen zu beschäftigen.«
»David will Doraemon- Film sehen!« erklärte mein Schützling, als ich mit ihm zum Aufzug ging.
Während der Fahrt nach oben begutachtete ich uns in den verspiegelten Wänden und brachte unser beider Aussehen ein wenig in Ordnung. Bei der letzten Fahrt in diesem Aufzug hatte ich in dem Spiegel noch Erinnerungen an Hugh gesucht. Doch diesmal war es anders. Meine
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