Bittere Mandeln
Schachteln genommen, die Stiele unter Wasser abgeschnitten und sie in diesen Eimer hier gestellt, damit sie ordentlich trinken können.«
Für sie waren Blumen offenbar fast schon Menschen. Ich nickte zustimmend und wandte mich Dingen zu, die mich mehr interessierten.
»Meine Tante und ich wollten Sie an dem Tag, an dem Sakura gestorben ist, besuchen«, sagte ich.
»Das habe ich gehört«, meinte Mrs. Koda mit sanfter Stimme. Sie sah zwar nicht über die Schulter, um sich zu vergewissern, daß niemand lauschte, machte aber den Eindruck, als hätte sie es gern getan.
»Wo waren Sie?« fragte ich. Erst hinterher wurde mir bewußt, wie plump diese Frage klingen mußte.
»Ich war im Gebäude«, antwortete sie, ohne mich anzusehen. Statt dessen konzentrierte sie sich darauf, den Stiel einer Blume wieder ins Wasser zurückzustecken, der aus dem Eimer gerutscht war.
»In der Wohnung der Kayamas?« fragte ich, weil mir Lilas Worte in den Sinn kamen.
»Nein! Ich war im achten Stock und habe im Büro des jungen iemoto gearbeitet. Sie hätten sich bei Miss Okada erkundigen sollen.«
Es wäre unhöflich gewesen zu erwähnen, daß Miss Okada nicht gewußt hatte, wo Mrs. Koda sich aufhielt. Also wechselte ich das Thema, um meine Unsicherheit zu kaschieren. »Ich denke, ich werde ein bißchen herumgehen, um etwas zu lernen. Haben Sie übrigens Lila Braithwaite heute schon gesehen?«
»Nein, aber sie hat angerufen, um zu sagen, daß sie später kommt. Es hat Probleme mit dem Kindermädchen gegeben«, meinte Mrs. Koda. »Sehen Sie sich in Ruhe um, doch vergessen Sie bitte nicht, daß wir unsere Gestecke bis heute abend um sechs fertig haben müssen.«
Ich warf einen Blick auf die Lilien, die genauso gelb waren wie die Blumen in meinem Alptraum, und beschloß, auf keinen Fall mit ihnen zu arbeiten.
Mari Kumamori, die Frau, deren Arrangement mir im Kurs so gut gefallen hatte, wand gerade eine grüne Ranke um ein hohes Tongefäß. Daneben hatte sie noch vier weitere stehen.
»Haben Sie die selber gemacht?« fragte ich.
Sie nickte verlegen. »Die Qualität ist nicht besonders gut, aber ich habe sie dem Bizen-Stil aus dem sechzehnten Jahrhundert nachempfunden.«
»Nehmen Sie Fotos als Vorlagen?« fragte ich erstaunt.
»Nein, ich sammle alte Stücke, wo ich nur kann, und versuche dann, Ähnliches zu fertigen.«
Ich blinzelte. Bizen-Keramik war sehr teuer. Ich fragte mich, was ihr Mann beruflich machte, rügte mich dann aber innerlich selbst für meinen Sexismus. Vielleicht hatte Mari ja eigenes Geld.
»Ihre Arbeiten sind außergewöhnlich«, sagte ich. Eigentlich, dachte ich, fehlten Mari nur noch ein paar Kurse amerikanischen Stils zur Stärkung des Selbstbewußtseins. »Ich könnte mir vorstellen, daß viele Leute sich dafür interessieren würden.«
»Töpfern ist für mich nur ein Hobby«, wiegelte sie ab.
»Ich finde Ihre Sachen aber ganz schön professionell«, sagte ich.
»Nun, mit dieser Meinung stehen Sie ziemlich allein da.« Mari konzentrierte sich wieder auf die Ranken, als weiche sie meinem Blick bewußt aus. »Eigentlich ist mir heute überhaupt nicht nach einer Unterhaltung zumute. Ich trauere immer noch um Sakura.«
Sakura war ziemlich unverschämt zu ihr gewesen, aber ich konnte verstehen, warum Mari aus der Fassung war. Ich entschuldigte mich gerade dafür, daß ich sie in ihrer Trauer gestört hatte, als plötzlich Tante Norie auftauchte.
»Deine Freundin Eriko ist noch nicht da«, sagte ich.
»Tja, dann sind wir erst mal zu zweit«, meinte Norie. »Ich bin wirklich froh, daß du gekommen bist, um zu helfen.«
»Bitte sagen Sie mir doch, wenn ich mich irgendwie nützlich machen kann«, meldete sich Mari zu Wort. »Ich bin mit meiner eigenen Arbeit fast fertig und habe noch genug Ranken übrig.«
»Mal sehen«, sagte Norie und ging zu unserem eigenen Platz zurück. Dort angekommen, begrüßte sie die Frauen, die rund um sie herum arbeiteten, mit einer Verbeugung. Sie gab sich größte Mühe, normal zu wirken, doch viel Erfolg hatte sie damit nicht. Die Frauen verneigten sich ihrerseits, antworteten ihr aber nicht mit den sonst üblichen Höflichkeitsfloskeln.
»Die Lilien gefallen mir nicht«, sagte Tante Norie zu mir, als klar wurde, daß niemand sonst sich mit ihr unterhalten würde. »Sie sehen nicht frisch aus. Gott sei Dank habe ich ein paar Blumen aus meinem Garten mitgebracht.«
Sie zeigte mir einen Eimer mit japanischer Iris: dunkle, samtige Blüten, die noch nicht aufgegangen waren.
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