Bittere Mandeln
Ich seufzte erleichtert auf, daß ich nicht mit den gelben Lilien aus meinem Alptraum arbeiten mußte.
Doch zuerst mußten wir den Bambus gründlich reinigen, jeden Stiel auf die vorgeschriebene Länge zurechtstutzen und schließlich die Membran im Innern entfernen, damit wir sie mit Wasser füllen konnten. Das bedeutete zwei Stunden harte Arbeit über eine große Wanne in der Hauptgalerie gebeugt, aber wenigstens hatten wir so nicht unmittelbar mit den schweigenden Frauen aus der Schule zu tun.
Nachdem wir in den vorderen Teil des Raumes zurückgekehrt waren, ordneten wir den Bambus stehend im Halbkreis an, und ich schnitt ihn mit einer elektrischen Säge so zu, daß sich ein Wellenmuster ergab. Der leichtere Teil der Arbeit bestand darin, Irisstengel in jeden der Bambusstiele zu stecken und das Ganze mit ein paar von Maris Ranken zu schmücken.
»Eigentlich hatten Sie etwas anderes vor, stimmt’s?« Natsumi Kayama deutete mit ihrem manikürten Fingernagel auf die wellenförmig arrangierten Bambusstiele. »Koda-san hat mir von Ihrem ursprünglichen Plan erzählt. Das hier sieht anders aus.«
»Der Blumenhändler hat Lilien geliefert, die dem Standard der Ausstellung nicht genügen, also haben wir improvisiert«, sagte Norie in jenem gekünstelt fröhlichen Tonfall, der mich fast zum Wahnsinn trieb.
»Jemand muß das Schildchen neu schreiben, das vor den Blumen angebracht werden soll. Da steht Lilien drauf, aber Sie arbeiten mit Hasenohr-Iris«, meinte Natsumi bekümmert.
»Nun, eigentlich handelt es sich um Iris tectorum«, korrigierte Tante Norie sie.
»Wieviele verschiedene Iris-Arten gibt es denn?« fragte ich erstaunt.
»Insgesamt etwa dreihundert, aber unser Ikebana-Handbuch listet nur sieben auf«, sagte meine Tante. »Egal, ich kümmere mich um die korrekte Beschriftung des Schildchens.«
»Nein, die Kalligraphie muß übereinstimmen!« beharrte Natsumi. Als sie mir ein paar Tage zuvor gesagt hatte, daß ich eine Laufmasche in der Strumpfhose habe, hatte ich gedacht, sie wolle mir helfen. Doch inzwischen war ich anderer Meinung. Vielleicht liebte sie es, andere Leute auf Fehler aufmerksam zu machen.
Um sie abzulenken, sagte ich: »Sie haben so viel zu tun, Natsumi-san. Es muß wirklich ermüdend sein, sich nach Ihrer Arbeit in der Damenabteilung auch noch um die Ausstellung …«
»Ach, die Sachen in der Nicole-Miller-Abteilung.« Sie verzog das Gesicht. »Die Bouquets, die ich dafür gestaltet habe, sollen die Käufer auf die Ausstellung aufmerksam machen. Ziemlich nutzlos das Ganze.«
»Das finde ich nicht«, lenkte Tante Norie ein.
»Junge Frauen werden weder die Zeit noch das Geld investieren wollen, sich in unserer Ausstellung umzusehen.« Natsumi hatte mittlerweile begonnen, ein neues Schildchen für unser Arrangement mit deutlichen grünen kanji zu beschriften. »Die geben die tausend Yen lieber bei Mister Donut aus.«
»Nun, neue Schüler anzulocken, ist eine Herausforderung«, gab Tante Norie zu. »Zu meiner Zeit mußten die meisten Mädchen um die Zwanzig Ikebana lernen.«
»Weil sie heiraten mußten«, sagte Natsumi. »Haben Sie nicht auch Ikebana gelernt, um einen Ehemann zu finden? Und als Sie dann Ihre Kinder hatten, haben Sie damit aufgehört. Jetzt, wo sie alle ausgeflogen sind, wenden Sie sich wie alle anderen wieder der Kunst des Ikebana zu.«
»Ich habe Ikebana immer geliebt.« Tante Nories Stimme zitterte ein wenig. Mir gegenüber hatte sie keine Hemmungen, ihren Unmut zu zeigen, doch in Gegenwart von Natsumi Kayama riß sie sich zusammen. »In der Zeit, als ich nicht von zu Hause weg konnte, habe ich in der Wohnung geübt.«
»Meine Tante hat ihre eigene Schülergruppe«, sprang ich Norie bei. »Mehrere Frauen kommen jede Woche zu ihr ins Haus, um bei ihr zu lernen. Sie ist ein echter Profi.«
Profi. Etwas ganz Ähnliches hatte ich ein paar Minuten zuvor zu Mari Kumamori gesagt. Tante Norie war zwar Hausfrau, hatte aber auch eine Lehrerlaubnis für den Ikebana-Unterricht. Das Problem war nur, daß sie das Honorar an die Kayama-Schule weitergab. Aus Gesprächen der Schülerinnen wußte ich, daß alle, die mit ihren Gestecken an der Ausstellung teilnahmen, eine »Kreativgebühr« von fünfzehntausend Yen an die Schule gezahlt hatten. Irgendwie würde ich Tante Norie das Geld zurückgeben müssen, das sie für mich vorgestreckt hatte. Es ärgerte mich, daß sie fast zweihundertfünfzig Dollar dafür ausgab, sich von dieser gehässigen jungen Frau, in deren Tasche das Geld
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