Bittere Mandeln
bißchen alter Reis, der in meinem winzigen Kühlschrank ziemlich hart geworden war, dazu eingelegter daikon- Rettich und eine Pflaume sowie ein Glas Asahi Super-Dry Bier. Als ich noch mit Hugh zusammengewesen war, hatte ich üppige Mahlzeiten bestehend aus gegrilltem Fisch, angebratenem Gemüse und wunderbar klebrigem Reis gekocht. Solche und ähnliche Gerichte hatte Tante Norie mir beigebracht, sobald ich alt genug war, ein Küchenmesser zu verwenden. Besonders wichtig war es ihr gewesen, daß ich lernte, wie man es schnell handhabte, ohne sich die Fingerkuppen abzuschneiden.
Da fiel mir Sakura mit der Schere im Hals wieder ein. Meine Tante hatte nichts mit ihrem Tod zu tun.
Warum träumte ich dann, als ich einschlief, daß meine Tante wie ein Gespenst in mein Zimmer schlüpfte? In diesem Traum stand sie am Fenster und bat mich, nicht hinauszusehen. Ich schaute aber doch hinaus und entdeckte einen Teppich aus Lilien und Chrysanthemen, der unordentlich über die asphaltierte Straße gebreitet war. Die Blumen verwelkten; ihre Blüten und Blätter wurden braun und häßlich. Ich roch den Gestank des Verfalls.
»Eine Beerdigung!« weinte meine Tante. »Meine Beerdigung.«
Unvermittelt, wie das in Träumen nun einmal ist, stand ich dann vor einem mit weißem Brokatstoff bedeckten Sarg. Tom weinte. Mein Vater und meine Mutter trugen noch ihre Reisekleidung und hatten Koffer neben sich abgestellt.
»Nein!« keuchte ich und wachte auf.
In meiner kleinen Wohnung war es friedlich und dunkel; nur das kleine Boilerlicht in der Küche leuchtete. Ich starrte den roten Punkt an, um mich wieder ein wenig zu beruhigen. Doch das schreckliche Gefühl, für Tante Norie mehr als nur den Familiennamen retten zu müssen, wurde ich nicht los.
6
Es ist gar nicht so leicht, sich in Japan ein Lieblingskaufhaus auszusuchen, aber das Mitsutan ist immer schon das meine gewesen.
Von dem riesigen Eingang an der Shinjuku-dori aus betrat ich einen blendend hellen Raum, der nicht nur von Kronleuchtern, sondern auch von dem strahlenden Lächeln junger Frauen mit rosafarbenen Kostümen und rosa-weißen Hüten erhellt wurde. Ich ging an den Lederboutiquen von Prada, Gucci und Coach vorbei und fuhr dann mit der Rolltreppe hinauf. Das Kaufhaus bestand aus zwei siebzehnstöckigen, jeweils auf vier unterschiedlichen Stockwerken durch Fußgängerbrücken miteinander verbundenen Gebäuden, in denen sich der Kaufwütige verlaufen konnte. Sechs Stockwerke waren ausschließlich der Damenmode gewidmet. Auf der Ebene mit den ausländischen Designern ließ ich die Sachen von Chanel links liegen, gestattete mir aber einen kurzen Abstecher zu den eleganten kleinen Frühjahrskleidern in der Nicole-Miller-Abteilung. Dabei fiel mein Blick auf zwei geschmeidige Beine, die mir bekannt vorkamen. Sie gehörten Natsumi Kayama, die ein kurzes blaues Kleid trug. Sie beugte sich ein wenig vor, um ein paar Rosen zu arrangieren. Dabei kam der spitzenbesetzte Saum ihres weißen Strumpfhalters zum Vorschein – japanische Frauen lieben solche Strumpfhalter, egal, wie alt oder beleibt sie sind. Natsumi gestaltete einen kunstvollen Strauß, den sie vermutlich einer Schaufensterpuppe in die Arme legen wollte. Daß das Mitsutan-Kaufhaus die Kosten nicht scheute, eine Schaufensterpuppe mit echten Blumen zu dekorieren, wunderte mich nicht. Erstaunt war ich allerdings, daß Natsumi bereits zwei Tage nach dem großen Schock über Sakuras Tod wieder arbeitete.
Die Rolltreppe trug mich an der Abteilung für Herren- und dann für Kinderbekleidung sowie an einem ganzen Stockwerk mit Restaurants vorbei. Schließlich langte ich auf Ebene zwölf im Museé Mitsutan, dem kaufhauseigenen Museum, an. Eine Karte für die Ausstellung von Matisse-Gemälden in der Nordgalerie kostete viertausend Yen. Dagegen waren die tausend Yen Eintritt für die Ausstellung der Kayama-Schule – das entsprach etwa sieben US-Dollar – ein richtiges Schnäppchen.
Die in Creme- und Goldtönen gehaltene Galerie war übersät mit langen Blumenschachteln und Eimern, in denen lange Zweige steckten. Die Frauen waren so mit dem Arrangieren der Pflanzen beschäftigt, daß sie mein Eintreffen gar nicht bemerkten. Als ich schließlich den mit dem Namen Shimura markierten Platz fand, begrüßte mich Mrs. Koda.
»Miss Shimura, wie schön, Sie zu sehen. Sie sind ja schon vor Ihrer Tante und Eriko-san da«, flötete sie, als sei das eine große Leistung. »Bambus und Lilien sind hier. Ich habe sie bereits aus den
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