Bittere Mandeln
floß, heruntermachen zu lassen.
Als ich das Mitsutan-Kaufhaus eine Stunde später verließ, fiel mein Blick auf ein Fernsehteam vor dem Haupteingang. Vermutlich hatte man die Leute nicht nach oben gelassen, und nun warteten sie darauf, daß die Schülerinnen der Kayama-Schule herauskamen. Zum Glück hatte mein Cousin Tom den Wagen in der Tiefgarage des Kaufhauses abgestellt, und ich hatte mich in dem sicheren Gefühl von ihm und Tante Norie verabschiedet, daß sie so dem Medienrummel entgehen würden.
Ich selbst wandte mich vom Haupteingang ab und suchte mir einen unauffälligen Angestelltenausgang.
»No hablo japonés« , sagte ich laut, damit der Wachmann an der Tür mich für eine japanische Latina hielt. Irgendwie war mir südamerikanisch zumute, denn ich mußte an meine Pläne für den Abend denken. Richard hatte als Treffpunkt das Salsa Salsa vorgeschlagen, eine brasilianische Bar, die gerade erst am Rand von Nishi-Azabu, einem Nobelviertel östlich von Roppongi, eröffnet hatte.
Zu Hause schlüpfte ich in ein kurzes knallrotes Kleid, das genau zum Salsa Salsa, wenn auch nicht zu meiner Stimmung, paßte. Dann machte ich mich auf die Suche nach einer Seidenstrumpfhose ohne Laufmasche. Als ich keine fand, ging ich ohne. Das war einigermaßen ungewöhnlich für Tokio, wo die Frauen sogar in der Sommerhitze unter Shorts Seidenstrumpfhosen tragen. Mittlerweile war die Temperatur auf gerade mal zehn Grad abgesunken, so daß meine Beine eiskalt waren. Meine nackten Füße klebten am Innenfutter meiner schwarzen Lackpumps und machten bei jedem Schritt ein quatschendes Geräusch. Wenn ich Glück hatte, war es in der Bar laut, und niemand merkte etwas.
Das Salsa Salsa befand sich im Keller eines langweiligen Kastens, der dem Straßenbild im südöstlichen Teil der Roppongi-dori entsprach. Ausgestopfte Papageien wachten über den türkisfarbenen Eingang, was gar nicht schlecht paßte, denn an jenem Abend spielte eine Band mit dem hübschen Namen »Lovely Parrots«. Ein japanischer Latino musterte mich eingehend, bevor er mich durchwinkte. Normalerweise kostete der Eintritt zweitausend Yen, also war ich froh, umsonst hineinzukommen. Unten drückte ich mich in dem mit bunten Holztieren geschmückten Raum an der Salsa-Band vorbei und schob mich durch die Menge der gutaussehenden japanischen und ausländischen Yuppies.
An der kleinen hochglanzpolierten Teakbar unterhielt Richard sich angeregt mit dem attraktiven Barkeeper, der höchstens einundzwanzig war. Eine ganze Schlange von Leuten wartete darauf, Drinks zu bestellen, aber der Barkeeper hatte nur Ohren für Richard.
»Du bist früh dran, Shimura.« Richard wirkte ein bißchen verärgert, als ich ihn in den Bizeps knuffte. »Und du trägst mein Lieblingskleid. Sicher willst du was von mir.«
Ich schenkte seiner gespielten Anmache keine Beachtung und fragte: »Was trinkt man denn hier?«
»Am besten Caipirinha. Der wird hier mit besonders viel Liebe gemacht, stimmt’s, Enrique?« sagte Richard auf japanisch zu seinem neuen Freund.
»Ja, und mit Cachaça.« Enrique wandte den Kopf, und dabei kamen die großen Goldringe in seinen Ohren ins Schwingen.
»Sprichst du Spanisch oder Portugiesisch?« fragte ich Enrique auf spanisch.
Er wirkte überrascht. »Spanisch. Ich bin aus Peru, nicht aus Brasilien.«
»Dann bist du ein perujin, Enrique?« fragte Richard.
»Man nennt das nikkei Perujin – japanischstämmiger Peruaner. Ich bin kein echter gaijin wie du, kleiner Blondschopf.«
»Ich finde dunkle Männer attraktiv, Rei nicht. Für sie gilt: Je heller, desto besser.«
»Das stimmt nicht! Ich hatte drei japanische Freunde, aber mit keinem hat’s geklappt«, erklärte ich Enrique in meinem Schulspanisch. »Kann ich wohl auch einen Caipirinha haben?«
»Ein steifer Drink nach ’ner Leiche tut immer gut«, sagte Richard auf englisch zu mir. »Als du mir erzählt hast, daß der Kurs ›mörderisch‹ ist, hätte ich nicht gedacht, daß du das wörtlich meinst.«
»Laß uns woanders über das Thema reden«, sagte ich. Ich wollte nicht, daß die ganze Bar die traurige Geschichte mitbekam.
»Er spricht nicht Englisch, nur Japanisch.«
Enrique ging ans andere Ende der Theke, um Limonen für meinen Caipirinha zu holen, und sofort stürzten sich die anderen Wartenden auf ihn. Richard nahm mich kurz in den Arm.
»Tut mir leid. Das war nur ein Scherz, um dich abzulenken.«
Ich genoß die Umarmung, denn in letzter Zeit kam ich nicht oft in den Genuß von
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