Bittere Mandeln
wird doch so schnell schwindelig. Schon als Kind hattest du da Probleme.«
»Mit deinem guten Frühstück im Magen passiert mir sowas nicht.« Um meine Aussage zu unterstreichen, klopfte ich mir auf den Bauch. »Falls Lieutenant Hata anrufen sollte, sag ihm doch bitte, er soll’s heute abend noch mal probieren.«
Dann machte ich mich mit den Segenswünschen meiner Tante, einer Plastiktüte und einem frischen Taschentuch auf den Weg. Wie in der Wettervorhersage versprochen, schien die Sonne, und die Kirschbäume entlang der Straße durch den Yanaka-Friedhof standen in voller Blüte. Ein rosafarbener Teppich unter den Bäumen zeigte, wie viele Blüten der Regen von den Ästen geholt hatte. Schade, aber so war’s nun mal.
Ich ging die Stufen zur Haltestelle ganz langsam hinunter – kein Problem, weil die Rush-hour vorbei war – und fuhr zu meiner Untersuchung ins St. Luke’s Hospital. Nachdem mir Blut abgenommen worden war, drückte ein Internist noch ein bißchen an mir herum und erklärte mir, ich befinde mich auf dem Weg der Besserung. Hinterher ging ich in die Notaufnahme, um meinen Cousin zu suchen.
»Du siehst viel besser aus als gestern!« Er begrüßte mich mit einem breiten Lächeln. »Glaubst du, du kannst schon was zu Mittag essen?«
Nach dem ganzen okayu hatte ich allerdings Appetit auf ein richtiges Mittagessen. Tom zog seinen weißen Kittel aus und ein Jackett an, und wir gingen die paar Häuserblocks bis Tsukijī, jenem Großmarkt, wo bereits am frühen Morgen riesige frische Fische für die Restaurants von Tokio angeboten wurden. Inzwischen war alles verkauft, aber immerhin gab es einige kleine, preiswerte Lokale, in denen viel Betrieb war.
»Das beste für dich ist jetzt gekochtes Essen«, sagte Tom mit strenger Miene. »Ich kenne ein gutes ochazuke- Lokal. Da esse ich regelmäßig mit meinen Kollegen, weil ich weiß, daß die Leute sich dort an die Hygienevorschriften halten.«
Schon bald saßen wir an einer sauberen Theke, eine Schale ochazuke, Bouillon mit Reis und Algen, vor uns. Viel interessanter als meine letzten beiden okayu- Mahlzeiten war das auch nicht.
Zu der Suppe bekamen wir einen kleinen Klacks wasabi- Paste. Als ich sie mit Hilfe der Stäbchen in die Suppe rühren wollte, schüttelte Tom den Kopf.
»Das ist zu scharf für deinen schwachen Magen. Tu’s lieber nicht.«
»Die Suppe ist mir aber sonst zu fad«, sagte ich.
»Nach einer Vergiftung braucht man milde Sachen.«
»Ich hatte doch keine Lebensmittelvergiftung; mich hat ein Insektenvertilger erwischt! Wenn ich mich von Ikebana fernhalte, bin ich auf der sicheren Seite.«
»Ja, ich habe den letzten Bericht von Lieutenant Hata gehört. Trotzdem ist es besser, wenn du Sachen ißt, die meine Mutter unter hygienischen Bedingungen zubereitet. Auch bezüglich der Restaurants, die du besuchst, solltest du uns konsultieren. Du mußt vorsichtig sein, wo – und mit wem – du ißt.«
»Wen meinst du damit?«
»Takeo Kayama.« Er verzog das Gesicht angewidert, als er den Namen aussprach. »Meine Mutter hat mir erzählt, daß er zu dir in die Wohnung gekommen ist und dich zu einem Ausflug aufs Land mitnehmen wollte.«
»Tom«, sagte ich lächelnd zu meinem Cousin, »du und deine Mutter, ihr regt euch doch jedesmal auf, wenn sich irgend jemand für mich interessiert. Da könnt ihr nicht erwarten, daß ich Takeo für schlimmer halte als die anderen. Immerhin ist er Japaner!«
»Rei, ich kenne Takeo seit meiner Zeit an der Keio-Universität.«
»Wie das? Du bist doch sechs Jahre älter als er.«
»Ja, aber ich habe als Assistenzarzt im Uni-Krankenhaus gearbeitet. Ich habe ihn gut gekannt.«
»Woher, von seiner Krankenakte? Hatte er eine Geschlechtskrankheit oder sowas Ähnliches? Falls ja, brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Wir haben bloß ein Bier miteinander getrunken«, herrschte ich ihn an.
»Rei -chan, du weißt, daß ich an meine ärztliche Schweigepflicht gebunden bin. Außerdem würde ich die Moral eines Menschen niemals aufgrund seiner gesundheitlichen Daten bewehrten. Aber ich habe Takeos wahren Charakter kennengelernt, als ich während eines Aufruhrs auf dem Campus Erste Hilfe leisten mußte.«
Ich richtete mich gespannt auf. Fast hätte ich meine Magenschmerzen vergessen. »Ein Aufruhr an der seriösen Privatuniversität, von der unsere Familie so viel hält?«
»Ja. Großvater wäre sicher zornig geworden, wenn er noch gelebt hätte. Der Anlaß war ein Studentenprotest gegen die Erhöhung der
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