Bittere Mandeln
Studiengebühren. Sie beschlossen, der Verwaltung Schwierigkeiten zu machen, indem sie die Uni von der Wasserversorgung abschnitten. Eine große Gruppe von Studenten plante, die Spülungen aller Toiletten auf dem Campus gleichzeitig zu betätigen, so daß der Wasservorrat der Uni aufgebraucht wäre.«
»Also hat Takeo eine Toilettenspülung betätigt. In meinen Ohren klingt das wie ein eher harmloser Scherz.«
»Nein, er stand als Vorsitzender des studentischen Umweltclubs auf der anderen Seite. Um das Wasser nicht zu vergeuden, bat er die Studenten, auf andere Weise zu protestieren. Aber die Gruppe weigerte sich, und so haben sich Takeo und seine Freunde Waffen aus dem Kendo-Club ausgeliehen, die Toiletten gestürmt und gedroht, die Studenten zu verprügeln, die die Spülung betätigten.«
»Wow! Klingt ja ganz schön gefährlich.« Kendo ist eine Kampfsportart, bei der man den Gegner mit einem Bambusstock angreift, der mit einer Schnur umwickelt ist. Es kracht ganz schön, wenn ein Treffer erzielt wird. Die Bambuswaffe ist so gefährlich, daß Kendo-Sportler einen Schutzhelm tragen müssen.
»Ja, allerdings. Und weil Takeo der Anführer war, hat man ihn für die Kämpfe verantwortlich gemacht, die auf mehreren Toiletten des Campus zwischen den Studenten ausgebrochen sind. Viele Studenten mußten ins Krankenhaus; einer lag sogar eine ganze Woche lang im Koma.« Tom sah mich an. »Takeo ist nie wegen versuchten Mordes angeklagt worden, auch wenn ich das für richtig gehalten hätte. Allerdings haben sie ihn der Uni verwiesen. Ich glaube nicht, daß er irgendeinen akademischen Abschluß hat.«
»Den muß er in Kalifornien gemacht haben«, sagte ich, als mir der Gartenbaukurs einfiel, von dem er erzählt hatte.
»Ich will dich ja nicht beleidigen, Rei, aber ein amerikanischer Abschluß zählt hier nicht viel. Nachdem sie ihn aus der Keio-Universität rausgeschmissen haben, wollte ihn sicher außer seinem Vater niemand mehr einstellen.«
»Danke für die Aufklärung, Tom.« Ich wandte den Blick von seinem grimmigen Gesicht ab.
»Du hättest wohl nicht gedacht, daß ein Typ, der sich den ganzen Tag mit Blumen beschäftigt, so gewalttätig sein kann, neh?«
»Tja, dem gängigen Klischee entspricht er jedenfalls nicht.« Ich spielte mit ein paar Reiskörnern, die am Rand der Schale klebten. »Glaubst du, daß er Sakura getötet haben könnte?«
Tom seufzte. »Keine Ahnung. Aber im Kayama-Gebäude hat er sich den Leuten von der Polizei gegenüber arrogant aufgeführt – genauso hat er sich nach dem Chaos in den Uni-Toiletten benommen. Es gibt ein Sprichwort, das sagt, daß eine reife Reispflanze den Kopf neigt, aber auf ihn trifft das nicht zu. Er hat sich nicht verändert.«
»Ist das der Grund, warum deine Mutter ihn nicht leiden kann?«
»Ich habe es ihr nicht erzählt. Sie bewundert die Kayama-Familie zu sehr. Ich wollte nicht derjenige sein, der ihre Illusionen zerstört.«
»Aber sie hat offenbar trotzdem was mitbekommen. Jedenfalls kann sie Takeo nicht leiden.« Ich wollte auch noch den Rest der Geschichte erfahren. »Und was ist dann damals an der Keio-Uni weiter passiert?«
»Nun, die Auseinandersetzungen haben die Studenten immerhin so abgelenkt, daß nur ungefähr fünfzig Toilettenspülungen gleichzeitig betätigt wurden, und es ist zu keiner Wasserknappheit gekommen. Takeos Gedanke hat also funktioniert, aber zu viele Menschen sind dabei zu Schaden gekommen.«
Ich schwieg eine Weile, um die Geschichte zu verdauen. »Was war mit den anderen Studenten, die Takeo unterstützt haben?«
»Außer ihm wurde niemand der Uni verwiesen. Takeo hat sogar zugegeben, daß der Aufruhr seine Schuld war.«
»Das ist sehr japanisch«, sagte ich und mußte an einen Zeitungsartikel vom vergangenen Jahr denken. Darin war es um drei Unternehmen gegangen, die vor dem Konkurs standen. Die drei befreundeten Spitzenmanager waren in ein Hotel gefahren, hatten sich gemeinsam einen letzten Drink genehmigt und sich dann aufgehängt, also die Verantwortung für die Sache übernommen.
»Wie kannst du diesen Armani-gekleideten Heuchler japanisch nennen?« schnaubte Tom verächtlich.
»Nicht Armani, sondern Issey Miyake, und das ist ein japanischer Modeschöpfer. Ich hab’ seinen Anzug im Tatler gesehen, den du mir wegen dem Foto von Hugh Glendinning mit seiner neuen Freundin gegeben hast.«
»Du hast eine Schwäche für gut gekleidete Männer, Rei. Aber die Oberfläche entspricht nicht immer dem Innern eines
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