Bittere Mandeln
Motrin-Gläschen versteckt hat, wollte sie sicher, daß die Leute nichts davon erfahren.«
»Da hast du wahrscheinlich recht«, pflichtete mir Tom bei. »Mir ist aufgefallen, daß Mrs. Koda in den letzten Jahren immer gebrechlicher geworden ist. Ich dachte, das läge am Alter. Aber möglicherweise braucht sie den Stock beim Gehen, weil ihr durch die Einnahme von Nolvadex leicht schwindelig oder übel wird.«
»Dann handelt es sich also um ein starkes Medikament«, sagte ich. »Könnte jemand eine Überdosis davon erwischen und sterben?«
»Falls du meinst, daß das Nolvadex deine Übelkeit während der Ikebana-Ausstellung verursacht hat, brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Es handelt sich dabei um einen Östrogen-Rezeptorantagonisten, und Probleme mit Überdosierungen sind nicht bekannt. Du bist eindeutig mit Arsen vergiftet worden.«
Ich gab ein erleichtertes Geräusch von mir – obwohl ich in Wahrheit alles andere als erleichtert war – und verabschiedete mich von Tom. Dann rief ich im Nippon University Hospital an, um mich mit Mr. Ishida zu unterhalten. Es freute mich zu hören, daß man ihn bereits entlassen hatte, und ich versuchte es gleich bei ihm im Laden, doch auch dort meldete er sich nicht. Vielleicht ruhte er sich gerade in seiner Wohnung im ersten Stock aus. Leider hatte ich seine Privatnummer nicht.
Also blieb mir nichts anderes übrig, als zum Joggen zu gehen. Ich versuchte, mir meine Sorgen aus dem Leib zu rennen. Jetzt tat es mir leid, daß ich die Zeit mit Takeo verbracht hatte, statt Mr. Ishida ins Krankenhaus zu begleiten.
Ich rannte zu der kleinen Straße, in der Takeo den Unfall gehabt hatte. Der Range Rover war nicht mehr dort, und ein Angestellter der Straßenreinigung fegte die Nägel weg, während ein paar andere Männer damit beschäftigt waren, die eingeknickte Straßenlaterne zu entfernen. Ich bog um die Ecke und dachte weiter über das Nolvadex nach. Entweder Mrs. Koda hatte Krebs, oder sie versteckte das Medikament für eine andere Person in ihrem Schreibtisch. Die zweite Alternative hielt ich nicht für sehr wahrscheinlich.
Beim Weiterlaufen wanderten meine Gedanken zu dem Handzettel der Stop-Killing-Flowers-Gruppe über die Verwendung von Pestiziden in Kolumbien. Ches Informationen über die erkrankten Arbeiterinnen schienen mir der erste Teil der Gleichung zu sein. Mit Sicherheit blieben die Pestizide auch nach dem Transport nach Übersee auf den Blüten haften. Vielleicht hatte die Person, die in der Kayama-Schule das Nolvadex nahm, aufgrund ihrer langjährigen Arbeit mit pestizidbehandelten Blumen Krebs bekommen. Wenn die Stop-Killing-Flowers-Gruppe davon erfuhr, hatte sie ein ausgesprochen überzeugendes Argument, das sie der japanischen Öffentlichkeit präsentieren konnte. Gerüchte über Pestizide, Farb- und Zusatzstoffe in Lebensmitteln hatten schon mehrfach zu Importverboten aus den Vereinigten Staaten geführt.
Während ich durch die gewundenen Straßen voller geparkter Motorroller und Lieferwagen lief, stellte ich mir vor, durch ein Feld mit einheimischen Gräsern und Wildblumen zu rennen, die alle nicht mit Chemikalien behandelt waren. Nach jedem meiner Schritte richteten sich die Gräser wieder auf, ohne Schaden genommen zu haben. Wahrscheinlich war das Haus der Kayamas auf dem Land von solchen Feldern umgeben, von Land, das ihnen gehörte und das sie nicht bestellen mußten, weil sie es finanziell nicht nötig hatten. Takeo hatte leicht reden. Plötzlich war ich wütend auf ihn, wegen seines Reichtums und der Selbstverständlichkeit, mit der er Sakuras grausame Geschichte über Norie erzählt hatte. Da konnte ich seinen Kuß ein paar Minuten später nur noch als beleidigend empfinden.
Nach dem Joggen duschte ich und schlüpfte in meine schwarze Lieblingsjeans, die mir jetzt besser paßte denn je, weil ich durch die Arsenvergiftung ein paar Pfunde verloren hatte. Ich stopfte ein Rippen-Shirt in die Jeans und band mir ein Tuch um den Hals. Meine Turnschuhe waren noch feucht vom Laufen, also zog ich bequeme Halbschuhe an. Tante Norie wäre vermutlich nahezu einverstanden gewesen mit der Kleidung, die ich für den Besuch bei Mari Kumamori trug.
Es war Mittag, und so ergatterte ich einen Sitzplatz auf der Fahrt nach Zushi. Das gab mir Gelegenheit, die Liste mit den Lehrern der Kayama-Schule zu studieren. Mein kanji- Wörterbuch half mir bei der Aussprache einiger Namen. Die Fahrt dauerte ungefähr eine Stunde, und als ich schließlich in der Zushi Station
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