Bittere Mandeln
das eher dem Schulmotto ›Wahrheit in der Natur‹ entspricht.«
Ich hörte die leichte Verärgerung in Maris Stimme und fragte: »Glauben Sie, man macht Ihnen das Leben an der Schule schwerer, weil Sie Koreanerin sind?«
Mari klopfte mit aller Kraft auf den Ton. »Sakura hat mich nie leiden können. Wahrscheinlich hat sie Gerüchte gehört oder selbst Nachforschungen angestellt. Vor zwei Jahren hat sie mich einmal gebeten, nach dem Kurs noch dazubleiben. Sie hat mir erklärt, daß ich aufhören und an einer anderen Schule weitermachen soll, weil die Kayamas noch nie einer Koreanerin ein Lehrerdiplom ausgestellt haben. Dann hat sie so etwas Ähnliches hinzugefügt wie ›Ich sage Ihnen das aus reiner Menschenfreundlichkeit, weil ich nicht möchte, daß Sie Ihre Zeit vergeuden‹.«
»Sie hätten zu Mrs. Koda gehen können.«
»Seien Sie doch nicht naiv! Koda-san kommt aus einer alten Samurai-Familie. Sie wäre sicher derselben Meinung wie Sakura-san.«
»Aber Sie sind wirklich gut. Und je höher Sie innerhalb der Schule aufsteigen, desto mehr Geld bringen Sie doch den Kayamas. Welchen Schülergrad haben Sie?«
»Den letzten vor dem Lehrerdiplom. Ich wiederhole schon seit zwei Jahren die Lektionen in Buch vier. Danach kommt die Prüfung zum Lehrerdiplom. Ich habe dreimal an der Prüfung teilgenommen, sie aber nie bestanden.«
»Ist das die Prüfung, in der das Arrangement nur mit einer Nummer gekennzeichnet wird und die Schülerin vor dem Zimmer wartet, während die Lehrer die verschiedenen Arbeiten bewerten?«
»Genau.« Mari klang bedrückt. »Das merkwürdige daran ist, daß die Blumen in meiner Vase jedesmal, wenn ich ins Zimmer zurückgekommen bin, schlechter ausgesehen haben, als ich das in Erinnerung hatte. Jemand hat sich an meinem Gesteck zu schaffen gemacht, um zu verhindern, daß ich die Prüfung bestehe.«
»Glauben Sie, daß dieser Jemand Sakura war?« Ich mußte daran denken, wie sie meine eigenen unbeholfenen Versuche mit den Kirschblüten neu arrangiert und das Ganze dann am Schluß schrecklich ausgesehen hatte.
»Ja, der Gedanke ist mir auch schon gekommen. Aber ich konnte es nie beweisen.« Mari begann, den Ton auszurollen. »Jetzt nach ihrem Tod sollten sich die Dinge für mich eigentlich ändern, meinen Sie nicht? Ich könnte an der Prüfung in zwei Monaten teilnehmen.«
Ich wandte mich hastig einem anderen Thema zu. »Haben Sie schon einmal etwas von Kayama-Keramik gehört? Solche Gefäße wurden in den dreißiger Jahren für die Schule hergestellt.«
»Davon weiß ich nichts.« Sie hob den Blick nicht von dem Gefäß, das sie selbst gerade machte. »Haben Sie ein solches Stück dabei?«
»Nein, ich habe das meine verschenkt, und es ist kaputtgegangen. Ich glaube, es war ein bißchen farbiger als die Gefäße, die die Lehrer heute so gern verwenden. Es könnte Ihnen gefallen.«
»Meine Töpferei ist durch viele Epochen beeinflußt, allerdings nicht durch das zwanzigste Jahrhundert.« Sie stellte das Gefäß, einen langen, schmalen Behälter, der mich ein wenig an ein Kanu erinnerte, auf einen Gipskarton und ging zum Waschbecken, um sich die Hände zu waschen. »Wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen, was ich im Haus habe.«
Wir verließen das Atelier und betraten das Haus durch eine unverschlossene Hintertür. Das Innere war nicht so farbenfroh westlich wie das Äußere. Im Wohnzimmer fiel mein Blick sofort auf einige schöne koreanische tansu- Kommoden mit den typischen Metallbeschlägen in Schmetterlingsform.
»Die Möbel gefallen mir gut. Sind das Familienstücke?«
»Manche davon. Andere haben wir gekauft. Zum Glück mag mein Mann koreanische Möbel genauso gern wie ich.« Sie schob die Tür einer tansu zurück, so daß dahinter ordentliche Reihen antiker Tassen, Teller und Schalen zum Vorschein kamen. Manche von ihnen hatten eine Seladon-Glasur, andere eine blau-weiße. Diese Sammlung hier war kleiner als die meine, aber viel älter und erlesener.
»Haben Sie die Stücke alle selbst erworben?« fragte ich.
»Ja. Sie sehen, daß ich keine Sets habe. Ich kaufe Einzelstücke, das ist nicht so teuer.« Sie griff in die tansu und holte einen Teller heraus, der ein bißchen wie der von Mrs. Morita aussah. »Deswegen bin ich mir so sicher, wie alt der Teller ist, den Sie mir gebracht haben«, sagte sie.
»Schade, daß er nicht zu meinen paßt. Dann hätten wir ein vollständiges Set und könnten es teurer verkaufen.«
»Geld interessiert mich nicht«, sagte Mari wie schon am Anfang
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