Bittere Mandeln
vielleicht … daß Chika möglicherweise keine echte Shimura ist. Verstehen Sie, was ich damit sagen will?«
Ich wandte mich von Takeo ab und trat ans Fenster. Draußen glitzerten die Regentropfen und die erleuchteten Fenster der anderen Gebäude. Das Spiegelglas des Kayama Kaikan fiel mir wieder ein, und daß mich die Leute jetzt, da es dunkel war, vielleicht von draußen sahen. Warum nur gab es in dem Zimmer keine Jalousien, hinter denen ich mich verstecken konnte?
»Sakura hat Norie gehaßt«, sagte ich. »Sie hätte alles behauptet, um sie zu verletzen.«
»Entschuldigung«, sagte Takeo von seinem Sessel aus.
»Wieso sollte Ihre Mutter Sie verlassen haben, wenn sie noch am Leben wäre?«
Takeo klang müde. »Wir waren zu zweit, Natsumi und ich, und im gleichen Alter. Ich weiß, daß wir ziemlich schwierig waren. Vielleicht hatte unsere Mutter einfach genug von uns.«
»Bestimmt nicht. Das Foto von Ihrer Mutter und Ihnen beweist, daß sie Sie geliebt hat. Sehen Sie sich doch ihr Gesicht an.« Da fiel mir ein, wie sehr mir Lila Braithwaites Kinder auf die Nerven gegangen waren. Zwillinge großzuziehen, war vermutlich genauso anstrengend, wie drei Kinder zu haben. Aber Takeos Mutter gehörte sicher nicht zu den Frauen, die einfach davonliefen.
Takeo fuhr fort: »Es könnte auch sein, daß meine Mutter wegen der Gefühle, die mein Vater Ihrer Tante Norie entgegengebracht hat, beschloß, ihn zu verlassen. Eine Scheidung hätte die Kayama-Familie nicht zugelassen. Geliebte sind bei den Kayamas nichts Ungewöhnliches – mein Großvater und auch alle meine Urgroßväter hatten welche. Es heißt, mein Vater habe deshalb nicht mehr geheiratet, weil es für einen Mann viel angenehmer ist, unverheiratet zu sein.«
»Aber hat denn niemand die Leiche Ihrer Mutter gefunden? Das wäre doch ein eindeutiger Beweis für ihren Tod.«
»Vielleicht war der Arzt bestochen. Möglicherweise war er sogar in die Sache verwickelt und hat die Leiche einer anderen Verstorbenen beschafft.«
Takeo wollte unbedingt glauben, daß seine Mutter noch am Leben war. Wieder spürte ich das Mitleid, das ich schon früher für ihn empfunden hatte. Wie konnte ich ihn dazu bringen, endlich die Geister der Vergangenheit zu begraben?
»Gut, gehen wir mal davon aus, daß Ihre Mutter tatsächlich noch am Leben ist und Norie schon seit Jahren Gedichte schickt, um ihr ein schlechtes Gewissen zu machen, weil sie ihre Ehe zerstört hat. Warum um Himmels willen sollte sie dann mir Haikus mit bedrohlichem Inhalt senden?«
»Weil sie will, daß die Geschichte sich nicht wiederholt«, sagte Takeo mit grimmigem Gesicht.
»Keine Sorge. Ihr Vater hat mich nur ein einziges Mal gesehen, und zwar als ich mich bei der Ikebana-Ausstellung übergeben mußte. Ich glaube nicht, daß er mich nach dieser Erfahrung irgendwohin zum Essen einladen wird.«
Takeo lachte verächtlich. »Ich spreche auch nicht von meinem Vater.«
»Von wem dann?« Diese typisch japanische Unterhaltung über Eltern, Liebe und Tod verwirrte mich. Ich wandte mich von Takeo ab und schaute zum Fenster hinaus, um über seine letzten Worte nachzudenken.
Auf einmal stand Takeo unmittelbar hinter mir. Als er sprach, spürte ich seinen Atem in meinem Nacken. »Vielleicht hast du mich für schwul gehalten, weil ich Blumen mag.«
»Nein. Ich kenne schwule Männer«, sagte ich. Ich war überrascht über Takeos Eröffnung, aber nicht darüber, was ich selbst dabei empfand. Als ich seinen warmen Atem auf meiner Haut fühlte, merkte ich, wie mein kühles, zölibatäres Ich dahinzuschmelzen begann.
Takeo legte leicht die Hände auf meine Schultern und fing an, meine nackten Oberarme zu streicheln. Ich zitterte. »Das war ganz schön hart. Ich bin in diesem sterilen Turm hier aufgewachsen, mit einem Vater, der nicht mit mir redet, einer Schwester, die der Kaufsucht verfallen ist, und einer Herde Frauen mittleren Alters, die mich alle unbedingt bemuttern wollen. Du bist die jüngste, realste Frau, die es je geschafft hat, an dem Portier dieses Gebäudes vorbeizukommen.«
»Nenn mich nicht jung. Wir sind gleich alt …«
»Du bist die einzige, die sich nicht vor mir verbeugt. Und die einzige, die gut aussieht in alten Kleidern und sich nicht unter Chanel und Escada versteckt.«
»Ich hab mich nicht verbeugt, weil ich dich für einen einfachen Floristen gehalten habe. Und hinterher hatte ich den Eindruck, daß du mich nicht sonderlich leiden kannst, also hatte es keinen Zweck, höflich zu sein.« Ich
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