Bittere Mandeln
daß es tatsächlich für mich und nicht für meine Tante bestimmt war. Und ich konnte Mari Kumamori von der Liste meiner Verdächtigen streichen, denn sie war mit ziemlicher Sicherheit nicht nach Tokio zurückgeeilt, um es mir zu bringen, während ich mich noch kurz mit Mr. Waka unterhielt.
Ich zog meine Handschuhe an, um eventuelle Fingerabdrücke nicht zu verwischen, öffnete den Umschlag und las:
Gaikotsu no
Ue wo yosoute
hana-mi kana
Dieses Haiku war leicht zu übersetzen. Es hätte gut und gern als Kommentar zu der harmlosen Kirschblütenbegutachtung im Friedhof von Yanaka geschrieben sein können, doch ich fand es gruselig.
Betrachtung der Blüten
In ihrem festlichen Kleid
Über den toten Knochen.
Ich steckte das Gedicht und den Umschlag in die Plastikhülle, in der sich bereits das Haiku über das hübsche Mädchen befand, das gestoßen wurde. Diesmal mußte Mr. Waka mir nicht helfen. Hilfe brauchte vielmehr mein anderer Freund, Mr. Ishida. Ich wählte die Nummer von Ishida Antiques in der Hoffnung, daß er sich melden würde. Er tat mir den Gefallen.
»Sie sind also wieder gesund!« rief ich aus, so erleichtert, daß ich vergaß, Mr. Ishida zu begrüßen oder meinen Namen zu sagen.
»Mehr oder weniger. Mein Auge kommt wieder in Ordnung. Ich habe einen Kratzer an der Hornhaut, was sehr schmerzhaft ist, aber das vergeht mit der Zeit. Ein Glück, denn für jemanden, der sich seinen Lebensunterhalt mit einem Vergrößerungsglas verdient, wäre der Verlust eines Auges eine Katastrophe.«
»Es tut mir wirklich sehr leid, daß ich Sie gestern abend gebeten habe, aus dem Haus zu gehen. Wenn ich Sie in Ruhe gelassen hätte, wäre nichts passiert«, sagte ich voller Reue.
»Sie haben das richtige getan«, meinte Mr. Ishida. »Wenn Kayama-san sagt, daß die Kayama-Keramiken seiner Familie verschwunden sind, glaube ich ihm das. Andererseits könnte mir die Frau auch Stücke gebracht haben, die nicht im Archiv der Schule waren. Ich brauche eine offizielle Inventarliste der Sammlung, um sicher zu sein, daß ich keinen Fehler mache.«
»Wieso lassen Sie sich die Gefäße nicht einfach von Takeo abkaufen? Ihm ist es egal, wieviel sie kosten.«
»Es wäre unmoralisch von mir, sie ihm zu verkaufen, Shimura-san. Mein Ruf würde leiden, wenn bekannt würde, daß ich einen Beraubten gezwungen habe, die Dinge zu kaufen, die ihm gestohlen wurden!«
Wir redeten noch eine ganze Weile über dieses Dilemma, fanden aber keine Lösung. Irgendwann verabschiedete ich mich. Dann wählte ich die Nummer eines der Friedhofsgärtner in meinem Viertel und bat ihn, Mr. Ishida ein Frühlingsarrangement zu schicken, das nicht nach Friedhof aussah, und dazu eine Karte mit Genesungswünschen von Takeo und mir. Viertausend Yen leichter, machte ich mir einen Leberblümchentee und dachte nach.
Ich brauchte Geld. Zwar hatte ich noch ungefähr zehntausend Dollar auf meinem Sparkonto und eine ganze Menge Rücklagen von den Möbeln, die Hugh Glendinning mir zum Verkauf überlassen hatte, aber seit meiner Arsenvergiftung war kein Geld mehr eingegangen. Ich hatte mich nicht mit Privatkunden getroffen, und die Antiquitätenhändler, mit denen ich gesprochen hatte, interessierten sich nicht für meine Sachen.
Der sonntagmorgendliche Antiquitätenmarkt am Schrein wäre möglicherweise der richtige Ort, um meine Waren an den Mann zu bringen. Eigentlich hatte ich keine Lust dazu, denn wenn meine Bekannten sahen, daß ich meine Sachen von einer auf den Boden gebreiteten Plane aus verkaufte, schadete das unter Umständen meinem Ruf als Händlerin. Schließlich bezeichnete ich mich auf meiner Visitenkarte selbst als Lieferantin qualitativ hochwertiger Antiquitäten, nicht von Flohmarktware.
Ich warf einen Blick auf meinen Kalender. An jenem Wochenende fand der Markt am Togo-Schrein statt, einem guten Ort für Verkäufe, weil er sich in der Nähe des von vielen Ausländern bewohnten Omote-sando-Viertels befand. Wenn es mir gelang, mich mit den Organisatoren in Verbindung zu setzen, schaffte ich es vielleicht noch, einen Platz auf dem Markt zu ergattern.
Nachdem ich das beschlossen hatte, wandte ich mich dem nächsten Thema zu: Mrs. Koda. In der Schule, wo wir nicht allein wären, konnte ich mich nicht mit ihr unterhalten. Doch ich hatte ja jetzt die Liste der Lehrer und brauchte nur ihre Privatnummer nachzuschlagen. Sie wohnte in Hiro, einem ruhigen, teuren Viertel in der Nähe des Kayama Kaikan.
Es war sieben Uhr. Ich stellte mir vor,
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