Bittere Mandeln
unseres Gesprächs.
»Das ist wirklich bewundernswert.« Plötzlich war es mir peinlich, daß ich den Vorschlag gemacht hatte. Mari war anders als ich, viel weniger materialistisch.
»Ihr Besuch bei mir war nicht sonderlich ergiebig für Sie«, sagte Mari. »Das tut mir leid.«
»Nein, nein, ich habe eine Menge gelernt. Und machen Sie sich keine Sorgen wegen meiner Imari-Teller. Ich glaube, ich werde sie der Besitzerin wieder zurückgeben.«
»Möchten Sie nicht noch eine Tasse Tee trinken, bevor Sie gehen?« fragte Mari.
Doch ihre Blicke in Richtung Brennofen sagten mir, daß sie die fertigen Tongefäße so bald wie möglich brennen wollte. Also schüttelte ich den Kopf. »Sie waren wirklich sehr freundlich zu mir. Sie brauchen mich nicht zu begleiten. Ich finde allein hinaus.«
Auf dem Weg nach draußen kam ich an dem kleinen Schrein mit den Tonbären vorbei. Zuvor hatte ich gedacht, sie lächelten, doch jetzt schienen sie mir eher die Zähne zu fletschen. Hoffentlich bildete ich mir das nur ein.
21
Als ich wieder daheim in Yanaka war, schaute ich kurz bei Mr. Waka im Family Mart vorbei. Er gestaltete gerade die Lotte-Kaugummi-Auslage neu und hob den Kopf, um mich mit einem Lächeln zu begrüßen.
»Sie hatten viel zu tun gestern abend, neh? Ich habe gehört, daß Sie einen Kriminalfall gelöst haben.«
»Wer hat Ihnen denn das erzählt?« Die Japan Times hatte nicht über den Unfall berichtet. Wenn jemand gegen einen Laternenpfahl fuhr, war das keine große Story.
»Ein paar Polizisten sind zu mir in den Laden gekommen, um sich nach einem Abschleppdienst zu erkundigen. Natürlich habe ich ihnen meinen Bruder empfohlen. Beim Warten haben sie sich darüber unterhalten, daß Sie spitze Nägel auf der Straße gefunden haben. Hier in der Stadt wird es auch immer schmutziger.«
»Die Leute, die die Nägel auf der Straße verstreut haben, wollten, daß Takeo Kayama drüberfährt und einen Unfall baut. Haben die Polizisten auch darüber gesprochen?« Wie schön, daß ich von Mr. Waka etwas über die polizeilichen Ermittlungen erfuhr.
»Ein Beamter war der Meinung, daß die Nägel absichtlich verstreut wurden, aber die anderen sagten, das waren nur chinpira, die sich einen Spaß machen wollten.« Mr. Waka riß eine Packung Kaugummi mit Erdbeergeschmack auf und gab mir einen Streifen.
Chinpira waren junge Gangster, die versuchten, richtige Mitglieder der yakuza zu werden. Ich sagte: »Wenn das chinpira waren, hat jemand sie angeheuert.«
»Sie sind so beschäftigt, Verbrecher aufzuspüren und etwas über die Kunst des Haiku zu erfahren … Ich frage mich, wie Sie da noch Ihre Arbeit schaffen.«
»Ich schaffe sie eben nicht. Das ist genau das Problem.« Am liebsten wäre ich den scheußlich süßen Kaugummi wieder losgeworden, aber das konnte ich nicht, ohne Mr. Waka zu verletzen.
»Und, wie lautet das neue Haiku? Das, von dem Sie am Telefon gesprochen haben?«
Ich hatte das Gedicht nicht dabei, wußte den Text aber auswendig und sagte ihn Mr. Waka.
»Ach, das alte Gedicht von dem Mädchen, das der Wind erwischt. Ich glaube, es stammt aus dem achtzehnten Jahrhundert und ist von einem Dichter namens Gyoutai.«
»Finden Sie die Zeile mit dem Mädchen, das gestoßen wird, bedrohlich?«
»Nein, das Gedicht sagt ganz deutlich, daß das Mädchen vom Wind gestoßen wird. Das bedeutet, daß ihre Haare und ihr Kimono zerzaust sind.«
»Ist das ein ganz normales Gedicht, oder glauben Sie, es könnte auch noch eine andere Bedeutung haben?«
»Ich habe Ihnen ja schon gesagt, daß es viele solcher Gedichte gibt. Sie stehen in allen Schulbüchern. Wenn Sie mehr über die Kunst des Haiku erfahren wollen, sollten Sie einen Abendkurs in unserem Stadtteilzentrum machen. Mein Bruder ist in der Verwaltung und kann mir sicher ein Kursprogramm geben.«
»Danke. In ein paar Tagen werde ich Ihnen sicher wieder ein neues Haiku bringen können.«
»Was soll das heißen, in ein paar Tagen? Mit Haikus muß man sich jeden Tag beschäftigen. Ich würde gern einmal etwas hören, was Sie selber gedichtet haben.«
»Irgendwann«, versprach ich ihm. Doch die Wahrscheinlichkeit, daß ich ein Gedicht über Blumen verfaßte, war ungefähr genauso hoch wie die, daß ich für die Zeitschrift Aufrechter Bambus einen Artikel über Kayama-Keramik schrieb.
Als ich nach Hause kam, sah ich, daß mir wieder ein Briefchen unter der Tür durchgeschoben worden war. Natürlich freute mich das nicht, aber immerhin wußte ich jetzt sicher,
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