Bittere Pille
Ulbricht sprang
gehetzt auf, als sich Motorengeräusch näherte. Jemand
fuhr in einem waghalsigen Tempo über die schmale und
kurvenreiche Landstraße aus Richtung Agathaberg. Lichtlanzen
fraßen sich gierig durch die Dunkelheit. Reifen quietschten,
und der Motor brüllte auf wie ein gequältes Tier. Der
Fahrer schien es eilig zu haben. Stefans Herz schlug schneller.
Jetzt würde es sich entscheiden. Er erwischte sich dabei, ein
Stoßgebet zum Himmel zu schicken, dass Danni nichts
geschah.
»Das muss er
sein, er fährt wie ein Geisteskranker«, stimmte
Heinrichs seinem Vorgesetzten zu und zückte das Telefon. Wenn
alles glattlief, waren ihm die Kollegen
bereits auf den Fersen. Sie hielten genügend Abstand, um den
Entführer in Sicherheit zu wiegen. Erst, wenn er auf den
kleinen Waldweg abgebogen war, würde die Falle zuschnappen.
Heinrichs telefonierte mit dem Hubschrauberpiloten, der mit seinem
Gerät auf einer Weide bei Lendringhausen auf seinen Einsatz
wartete. Von dort aus war es mit dem Helikopter nur ein
Katzensprung.
Heinrichs hatte den
Motor des Vectra gestartet. Stefan rannte zum Opel und schnallte
sich an. Ulbricht hockte bereits auf dem Beifahrersitz. Heinrichs
riss den Wählhebel der Automatik auf D und trat das Gaspedal
bis zum Bodenblech durch. Die Reifen drehten durch und wirbelten
lockeren Waldboden auf. Wie wild kurbelte Heinrichs am Lenkrad,
dann hatte er den Dienstwagen gewendet und raste auf die
Hauptstraße zu. Er fuhr trotz der Dunkelheit ohne Licht, um
den Entführer nicht auf sich aumerksam zu machen. Heinrichs
stierte ins Dunkel. Er hockte weit vorgebeugt hinter dem Lenkrad,
fast so, als könne er durch seine Sitzposition mehr
erkennen.
Stefan spürte,
dass seine Hände nass waren vor Aufregung. Und er betete, dass
die Polizisten ihren Job beherrschten.
*
Er hatte sich ein
verschwiegenes Örtchen im Wald gesucht und dort den Einbruch
der Dunkelheit abgewartet. Nachts waren alle Katzen grau. Jetzt war
er wieder unterwegs, und er hatte einen neuen Plan gefasst. Anstatt
über verschlungene Landstraßen nach Bergisch Gladbach zu
kommen, führte ihn sein Weg jetzt tiefer ins Oberbergische
Land. Gleich würde er Marienheide erreicht haben. Um diese
Zeit hatte man dort sicherlich die Bürgersteige hochgeklappt.
Wenn alles glattlief, erreichte er bei Gummersbach die A4. Dort
würde er auf die Autobahn und bis Bergisch Gladbach fahren.
Niemand würde ihn dort vermuten. Auf der Autobahn gab es ganz
bestimmt weder Straßensperren, noch würde er in eine
Kontrolle geraten. Die Autobahn schien ihm der sicherere Weg zu
sein. Inzwischen hatte er mehrfach bereut, die Frau entführt
zu haben. Es war nur um die verdammte Akte gegangen, nicht mehr und
nicht weniger. Sie hatte ihn überrascht, nachdem er die Bude
auf den Kopf gestellt hatte. Da hatte er den nächstbesten
Gegenstand in Reichweite genommen, einen Baseballschläger, und
hatte ihn der Frau übergebraten. Sie hatte mindestens einen
Bluterguss am Schädel, vielleicht sogar eine
Gehirnerschütterung, aber darauf konnte er jetzt keine
Rücksicht nehmen, denn er hing an seiner Freiheit. Immerhin
blutete die Wunde nicht. Wie dem auch sei, er war sich im Klaren
darüber, dass eine Entführung kein Kavaliersdelikt war.
Aber man wuchs bekanntlich mit seinen Aufgaben. Er überlegte,
ob er diesem Radioreporter noch ein stattliches Lösegeld aus
dem Arm leiern sollte. Diese Gelegenheit gab es sicher nur einmal
im Leben. Ein zweites Mal würde er ganz bestimmt keine Geisel
mehr nehmen. Er würde in den nächsten Tagen für
immer aus diesem Land
verschwinden.
Die
größtenteils unbeleuchteten Häuser von Agathaberg,
einem kleinen, verschlafenen Kaff, flogen an ihm vorbei. Er
überlegte am Ortsausgang kurz, ob er die Hauptstraße
nehmen sollte. Dort ging es sicherlich schneller als über die
Nebenstrecken. Da es bislang gut gelaufen war, entschied er sich
dafür, über die B 256 in südliche Richtung zu
fahren. Hinter Dohrgaul erreichte er die Marienheider Straße
und gab Gas. Der Motor des geschundenen Golf heulte auf, und er
zuckte zusammen, als er ein Scheinwerferpaar im Rückspiegel
auftauchen sah. Sein erster Gedanke war, dass es nur die Bullen
sein konnten, die ihm hier im Nichts auf den Fersen waren. Der
Wagen folgte ihm in respektablem Abstand. Ihm wurde heiß.
Winzige Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Er
drosselte das Tempo, hoffte, dass der Verfolger aufschloss und ihn
überholte, doch auch der Fahrer des Wagens hinter ihm
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