Bittere Pille
Hotels Moselperle.
Doch das
Frühstücksbüffet ging nur bis neun Uhr. Und der Gast
von Nummer sieben schien zu schlafen.
Es war ein herrlicher
Morgen, und ein angenehmer Kaffeeduft zog durch das Hotel. Aus der
Küche drang das Klappern von Geschirr auf den oberen Korridor.
Hier lagen die Gästezimmer. Die Sonne warf ihre Strahlen durch
das Fenster am Ende des Gangs. Noch lag der Morgentau auf den
Blättern der Weinreben, doch das würde sich mit
steigenden Temperaturen schon bald ändern, dachte Berta
Sommerer gut gelaunt. Staubpartikel tanzten im einfallenden
Sonnenlicht.
Die rundliche
Raumpflegerin schob ihren Wagen mit Reinigungsmitteln vor sich her.
Nur das Quietschen der Rollen war zu hören - ihre Schritte
wurden von dem dicken Teppich gedämpft. Vor Zimmer Nummer
sieben stoppte sie ihren Weg. Es war das einzige Gästezimmer,
das sie noch nicht gereinigt hatte an diesem Morgen. Dabei musste
sie doch heute pünktlich Feierabend machen, um ihrem Mann
Helmut im Wingert zu helfen. Es war an der Zeit, die Reben zu
binden. Sie stammte aus einer alten Winzerfamilie, ebenso ihr Mann
Helmut, der nebenbei noch eine Straußwirtschaft am Moselufer
betrieb. Im Frühsommer heftete man die jungen Triebe aneinander und
verhinderte so, dass sie brachen. So gewährleistete man eine
optimale Zuckerbildung der Trauben. Trotz modernster Technik war
der Weinbau noch eine harte körperliche Arbeit. Und wenn es
die Reben verlangten, war jede helfende Hand gefragt. Berta
Sommerer drehte den Schlüssel im Schloss und steckte den Kopf
ins Zimmer. Die bodenlangen Gardinen waren zugezogen, im Zimmer
herrschte Halbdunkel. Sie machte einen Schritt in den Raum. Nachdem
sich ihre Augen an das Zwielicht gewöhnt hatten, sah sie den
Gast. Männlich, Ende vierzig, vielleicht auch Anfang
fünfzig. Gutaussehend, schlank und muskulös. Nicht der
Ansatz eines Bauches, wie bei ihrem Helmut.
Der Fremde lag
tatsächlich noch im Bett. Eigentlich lag er auf dem Bett. Und
er schlief nicht. Das sah sie sofort, denn der Unbekannte, der nur
mit Boxershorts bekleidet war, hatte die Augen weit aufgerissen. Er
schien an die Zimmerdecke zu starren. Er rührte sich nicht.
Ein feiner Blutfaden rann aus einer Wunde an der rechten
Schläfe. Auf der Bettwäsche hatte sich ein tiefroter,
fast kreisrunder Blutfleck ausgebreitet. Erst jetzt sah Berta
Sommerer die Pistole in seiner Hand. Der Zeigefinger lag noch am
Abzug der Waffe. Der Mann hatte sich erschossen.
Panikartig presste sie
die Hände vor das runde Gesicht. Dann entlud sich ihr
Entsetzen in einem spitzen Schrei.
63
Wupperwelle, 10:10
Uhr
»Und du hast
wohl schon wieder Feierabend?« Heike kaute auf ihrem
Kugelschreiber herum und blickte zu Stefan auf, der gerade aus dem
Studio kam. Sie bereitete einen Bericht über die Umweltzonen
in der Stadt vor, der in der »Rush-Hour«, der
Nachmittagssendung, laufen sollte.
Dunkle Ringe lagen
unter seinen Augen, er war unrasiert, und Heike sah ihm an, dass er
ein paar Stunden Schlaf nachholen musste. Dennoch hatte er es sich
nicht nehmen lassen, die Morgensendung zu übernehmen, wie es
der Dienstplan vorgesehen hatte.
»Nur zweieinhalb
Stunden Schlaf sind ein guter Grund, direkt nach der Sendung
abzuhauen«, grinste Stefan erschöpft. »Die Nacht
war kurz, und mich zieht es jetzt ins Bett.«
»Du hättest
Karin die Sendung übernehmen lassen sollen«, rügte
Heike.
»Ist schon in
Ordnung, ich lebe ja noch. Morgen ist mein freier Tag, da
müssen die Hörer ohne mich auskommen, weil ich in den
Federn liegen werde.«
»Ah, Frau
Göbel, Herr Seiler, gut, dass ich Sie zusammen treffe.
Können wir uns kurz in meinem Büro unterhalten?«
Eckhardt war fast lautlos hinter die beiden getreten. Den
Krawattenknoten hatte er gelockert, die Hemdsärmel
hochgekrempelt. Seine dunklen Haare standen wie kleine Antennen von
seinem Kopf ab. Der Chefredakteur war der personifizierte
Dauerstress.
»Natürlich.«
Heike fuhr ihren Computer runter und erhob sich. Stefans Blick war
gequält. Er sah den freien Nachmittag im Bett in weite Ferne
rücken.
Kurze Zeit später
fanden sie sich im Büro von Michael Eckhardt wieder.
»Schließen Sie bitte die Tür.« Unsicheres
Lächeln. »Muss ja nicht jeder
mithören.«
Heike drückte die
Tür ins Schloss, und die Geräuschkulisse des
Großraumbüros drang nur noch gedämpft an ihre
Ohren. Nur die mitleidigen Blicke der Kollegen durch die
große gläserne Wand, die das Chefbüro von der
Redaktion trennte, erreichten sie noch. Stefan und
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