Bittere Pille
überquerten, trat Ulbricht ins Freie. Er blinzelte ins
Sonnenlicht und zündete sich mit umständlichen Bewegungen
eine Zigarette an. Noch hatte er die beiden Reporter nicht
entdeckt. Breitbeinig stand er vor der gläsernen Front des
Verkaufsraums und verpestete die Luft. Anscheinend dachte er
angestrengt nach.
»Sehr entspannt
sieht er nicht gerade aus«, kommentierte Stefan leise. Jetzt
hatte Ulbricht sie gesehen. Seine Miene drückte
Verschlossenheit aus. Stumm nickte er ihnen zu. Er war unrasiert.
Dunkle Ringe lagen unter seinen Augen, und Stefan bemerkte, dass er
das gleiche Hemd wie am Vortag trug. Anscheinend hatte er, seitdem
er ihn von zu Hause abgeholt hatte, nicht mehr geschlafen.
»Sie sind wegen des Entführers hier, richtig?«,
fragte Heike, nachdem sie sich begrüßt
hatten.
»Allerdings.
Klinke ist aus allen Wolken gefallen, als er hörte, welch
kriminelle Energie sein Schwager an den Tag gelegt
hat.«
»Moment - Jan
Rüben war Klinkes Schwager, also der Bruder seiner Frau, habe
ich das eben richtig verstanden?« Heike bekam große
Augen. Jetzt überschlugen sich die Neuigkeiten. Sie
überlegte kurz: Sicherlich verfügte das Autohaus
über die entsprechenden Geräte, mit denen sich eine
Wegfahrsperre umgehen
ließ.
»Und bevor Sie
mich jetzt mit Fragen löchern, die ich Ihnen nicht beantworten
kann, beende ich das Gespräch jetzt und hier. Hüten Sie
sich, jetzt da reinzugehen und Klinke auszuquetschen wie eine
Zitrone.«
»Sie können
uns nicht verbieten …«, begehrte Heike auf.
Ulbricht brachte sie
mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Das weiß ich
selber. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Kommen Sie in zwei Stunden
ins Präsidium, dann weiß ich mehr. Ich muss die Fakten
selbst erst einmal ordnen.« Er gähnte ungeniert.
»Außerdem brauche ich dringend ein paar Stunden Schlaf,
aber das muss wohl noch warten.« Ulbricht nickte und nahm die
Zigarette in die hohle Hand. Damit ließ er die verdutzten
Reporter stehen und stapfte auf seinen Dienstwagen zu, ohne sich
noch einmal umzublicken.
65
Polizeipräsidium, 13:30
Uhr
An der Pförtnerin
waren sie mit dem Satz »Hauptkommissar Ulbricht erwartet
uns« problemlos vorbeigekommen. In der von prächtigen
Säulen gestützten Halle hielten sie sich rechts. Im Gang
geradeaus hielt ein lebensgroßer Playmobil-Polizist Wache.
Links lag die Polizeiwache, rechts die Kriminalinspektion. Hier
hatte Ulbricht also sein Amtszimmer.
Stefan klopfte an, und
nach einem brummigen »Herein« betraten Heike und er das
Büro. Die Zigarette war als Schlacke im Aschenbecher
verglüht, ohne dass er mehr als zwei Züge daran genommen
hatte. »Sind die zwei Stunden schon um?«, muffelte er
die Besucher an.
»Schon
lange«, lächelte Heike charmant. Sie setzten sich.
»Schön haben Sie es.«
»Sparen Sie sich
das, ich hasse mein Büro.« Er winkte müde ab.
»Und jetzt wollen Sie bestimmt die ganze Geschichte
hören, stimmt’s?«
»Natürlich
sind wir neugierig«, grinste Stefan.
»Gut.«
Ulbricht zündete sich eine neue Zigarette an, paffte scheinbar
gedankenverloren den Rauch an die Decke und lehnte sich weit
zurück. Durch das auf Kipp stehende Fenster in seinem
Rücken drang der Straßenlärm der
Friedrich-Engels-Allee ungefiltert zu ihnen herauf. »Zuerst
die schlechte Nachricht: Den Fall bin ich in großen Teilen
los.«
»Was hat das zu
bedeuten?« Stefan schob sich das Baseballcap in den
Nacken.
»Das
Landeskriminalamt hat nach der Aktion letzte Nacht den Fall an sich genommen. Die
Morde, mit denen hier alles angefangen hat, ziehen weite
Kreise.« Norbert Ulbricht schmauchte. »Nichtsdestotrotz
war man so freundlich, mir die Drecksarbeiten zu überlassen.
Insofern bin ich nicht ganz weg vom Fenster.« Er grinste
schief. »Sie glauben ja gar nicht, was hier los ist, seitdem
das LKA in die Sache involviert ist. Ich war die ganze Nacht hier.
Erst Rubens Verhör, dann Recherchen, und jetzt geht es Knall
auf Fall. Dabei will ich einfach nur in mein Bett und ein paar
Stunden Schlaf nachholen.«
»Wo ist
Rüben denn jetzt?«, fragte Heike. Der Autoverkäufer
war ihr vom ersten Moment an unsympathisch
gewesen.
»Er sitzt in
U-Haft im Simonshöfchen. Und er schweigt zu den
Vorwürfen.«
»Was hat denn
das Gespräch mit Klinke ergeben? Wissen Sie, für wen
Rüben gearbeitet hat? Sicherlich nicht für Reinhardt
Klinke, oder sehe ich das falsch?«
»Nein, Klinkes
Weste ist in der Tat sauber, und wir tappen derzeit im Dunkeln.
Allerdings
Weitere Kostenlose Bücher