Bittere Pille
Drinnen schlug eine schrille Glocke
an. »Herr Baumgart, sind Sie zu
Hause?«
Wieder bekam Heike
keine Antwort. Sie wandte sich zu Stefan um, der die Mundwinkel
fragend nach unten zog. »Was machen wir denn
jetzt?«
»Rein da«,
flüsterte Stefan. »Irgendwo muss er ja
sein.«
Heike drückte die
Tür weiter auf. Muffiger Geruch schlug ihr entgegen. Sie
rümpfte die Nase. »Hier könnte auch mal wieder
gelüftet werden.«
»Er ist doch
gerade dabei«, grinste Stefan und deutete auf die offene
Haustür.
Sie betraten einen
dunklen Hausflur. An den Wänden Puzzles mit
Landschaftsgemälden aus den Siebzigern. Die Tapete war
altmodisch und vergilbt, das hölzerne Treppengeländer,
das in die oberen Stockwerke führte, war die längste Zeit
weiß gewesen. Alles in diesem Haus wirkte alt und
heruntergekommen. Heike fragte sich, wie man sich in einem solchen
Haus wohlfühlen konnte. Neben einer grünen Holzkommode
stand ein leerer Bierkasten. Oettinger. Billigbier. Nichts an
diesem Haus wollte ihr so recht gefallen und zu dem passen, was sie
sich vorgestellt hatte. »Herr Baumgart, sind Sie zu
Hause?«, rief sie in die Stille des Hauses und erschrak
über den Klang ihrer eigenen Stimme. Täuschte sie sich,
oder hatte irgendwo eine Diele geknarrt?
Sie zuckte zusammen
und wirbelte auf dem Absatz zu Stefan herum. »Holz
arbeitet«, bemerkte er, als er ihren Blick sah. »Das
ist normal.«
»Ich
weiß«, zischte sie wütend. »Und trotzdem
stimmt hier etwas nicht.«
»Finden wir es
heraus«, grinste Stefan und betrat einen Raum, der
rechterhand von der Diele abzweigte. Heike folgte ihm. Sie befanden
sich in einer relativ großen Wohnküche. Rechts eine
Küchenzeile. In der Spüle türmte sich der Abwasch.
Dahinter eine Fensterfront mit Blick auf Remscheid. Grüne
Hügel und Täler vermittelten den Eindruck, man sei
in einer landschaftlichen Idylle gelandet. Vogelgezwitscher lag
über der Szenerie. Linkerhand ein Esstisch mit vier einfachen
Holzstühlen davor. Eine alte Fernsehzeitung lag aufgeschlagen
herum, daneben ein Aschenbecher, der bereits überquoll. Eine
Glocke aus kaltem Rauch hing schwer im Raum. Von der Küche aus
zweigten zwei Türen nach links ab. Im ersten Raum gab es nicht
viel zu sehen -vermutlich nutzte der Hausbesitzer das Zimmer als
Rumpelkammer. Ein alter Sitzsack in der Ecke, ein blecherner
Computertisch neben dem Fenster und ein Wäscheständer,
der unter der Last der aufgehängten Wäschestücke zu
ächzen schien, beherrschten das Bild. Im zweiten Raum befand
sich ein kleines Wohnzimmer. Eine verschlissene Ledercouch mit
Brandflecken, ein einfacher Glastisch und ein Fernseher auf einem
Sideboard. Auf dem Tisch ein leeres Glas und eine Flasche Schnaps.
Whisky, wie Heike feststellte. Auch hier quoll der Aschenbecher
über. Die Tapete an den Wänden wirkte vergilbt. Die Decke
hätte einen neuen Anstrich gut vertragen können. Der
Fernseher lief ohne Ton.
Doch sie hatten keine
Gelegenheit, diese Eindrücke zu verarbeiten, denn vor dem Sofa
lag eine leblose Gestalt auf dem verschlissenen, dunkelroten
Teppich.
Die Gliedmaßen
standen in verrenkter Haltung vom Körper ab. Die Augen des
Mannes waren schreckgeweitet und blickten anklagend zur gelben
Zimmerdecke. Ein feiner Blutfaden rann aus dem rechten Mundwinkel,
der einen Spalt breit offen stand.
Sie hatten Jochen
Baumgart gefunden. Leider zu spät.
»Scheiße,
der ist tot.« Heikes Lippen bebten. Verschreckt presste sie
sich an Stefans Brust.
Stefan widersprach
nicht. Mit zitternden Händen angelte er nach dem
Handy.
15
Unterbarmen, 11:40
Uhr
»Seiler, wenn
das stimmt, dann haben Sie den Bogen eindeutig
überspannt.« Ulbricht hasste Stress am Sonntag. Und es
war kein gutes Zeichen, wenn ihn der Reporter der Wupperwelle
anrief. Seiler hatte irgendetwas von einem Leichenfund in Remscheid
gefaselt. Warum fand eigentlich Seiler immer wieder unter seltsamen
Umständen Tote?
»Ich kann nichts
dafür«, verteidigte Seiler sich ein wenig kleinlaut.
»Ich habe meine Freundin begleitet, die sich mit einem
… nun, sagen wir, mit einem Interviewpartner hier treffen
wollte. Den Mann haben wir gefunden, nur ist er leider tot. Ich bin
zwar kein Profi, aber wenn Sie mich fragen, ist der Mann erschossen
worden.«
»Sie fragt
niemand!«
»Auch
gut.« Seiler klang gekränkt. »Schicken Sie Ihre
Leute raus, es gibt Arbeit, Ulbricht.«
»Fassen Sie
nichts an und verhalten Sie sich ruhig«, warnte Ulbricht,
nachdem er tief geseufzt hatte.
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