Bittere Pille
»Ich schicke Ihnen einen
Streifenwagen und die Spurensicherung. In einer Dreiviertelstunde
bin ich auch da, und dann werde ich ein Hühnchen mit Ihnen
rupfen, sagen Sie das auch Ihrer Freundin!« Ulbricht
drückte den roten Knopf und warf das Telefon auf das
verwühlte Bett. Missmutig begab er sich ins Bad und wusch sich
das Gesicht mit kaltem Wasser. Als er sich im Spiegel betrachtete,
erschrak er. Dunkle Ringe lagen unter seinen Augen, und der
Dreitagebart wurde langsam grau. Doch zum Rasieren war jetzt keine
Zeit.
Während er sich
die Zähne putzte, dachte er an das seltsame Telefonat mit dem
Reporter der Wupperwelle. Seiler war mit Heike Göbel zu einem
Mann gefahren, der angeblich mit dem Mordfall aus dem Beyenburger
Stausee in Verbindung stand. Offensichtlich handelte es sich bei
dem Mann um einen Taxifahrer, der den Unbekannten zu einem Treffen
am See gefahren hatte. Eine vage Spur, aber immerhin eine Spur, das
musste Ulbricht neidlos anerkennen. Warum waren ihm die
beiden immer
und immer wieder einen Schritt voraus?
Ulbricht nahm sich
vor, ein ernstes Wort mit Michael Eckhardt, dem Chefredakteur des
Senders, zu wechseln. Eckhardt sollte seine Leute an der kurzen
Leine halten und sie dafür bezahlen, wofür er sie
eingestellt hatte. Es konnte nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn
Reporter des lokalen Radiosenders sich ständig in die
Ermittlungen der Polizei einmischten.
Ulbricht verließ
das Bad und zog sich ein frisches Hemd an. Er fragte sich
ernsthaft, was er dem Staatsanwalt erklären wollte, wenn der
ihn nach dem Fall und dem Stand der Ermittlungen befragte. Das
würde sicherlich am Montag der Fall sein. Davor graute es ihm
bereits jetzt. Schlecht gelaunt suchte er nach dem Telefon und
wählte die Nummer der Kollegen in Remscheid. Er orderte eine
Streifenwagenbesatzung zum Haus des ermordeten Taxifahrers. Er
überlegte, Heinrichs aus dem Bett zu klingeln, entschied sich
aber dagegen. Es war keine Frage für ihn, dass der Bursche
noch im Bett lag. Es war Sonntag, und Heinrichs war ein junger
Kerl. Nein, Ulbricht würde schon alleine klarkommen.
Außerdem konnte er Brille jetzt nicht ertragen, der Tag war
auch ohne ihn schon schlimm genug.
16
Hotelzimmer
Nächstebreck, 12:05 Uhr
Sie wählte die
Nummer und lauschte dem Freizeichen. Nichts. Es war, als würde
er sie ignorieren.
Nachdem sie ihren
Rausch ausgeschlafen hatte, hatte sie sich schlecht gefühlt.
Wie hatte sie ihre Sorgen und Ängste nur im Alkohol
ertränken können? Eigentlich hätte sie einen klaren
Kopf bewahren müssen. Stattdessen hatte sie sich mit Whisky
betäubt. Betäubt, da sie die Ungewissheit nicht mehr
ausgehalten und ihr Kopf gedröhnt hatte. Ein schlechtes
Gewissen beschlich sie, als sie mit dem Telefon ans Fenster trat
und hinunter auf die menschenleere Straße blickte. An einem
Sonntagvormittag um diese Uhrzeit herrschte hier so gut wie kein
Verkehr. Unter der Woche rollte ein Lastwagen nach dem
anderen über die von Schlaglöchern übersäte
Wittener Straße, denn die war eine wichtige
Verbindungsstraße zwischen einem großen Industriegebiet
im Norden der Stadt und dem Autobahnkreuz Wuppertal-Nord. Jetzt, am
Wochenende, herrschte hier eine fast schon ländliche Ruhe,
denn in wenigen Stunden würden die dicken Sattelschlepper
wieder zur Autobahn donnern, einer neuen Woche und einigen Tausend
Kilometern entgegen.
Es war eine
trügerische Stille.
Für sie gab es
keinen Grund, entspannt zu sein. Noch immer hatte sie kein
Lebenszeichen von ihm bekommen. Es war, als sei ihr Mann wie vom
Erdboden verschwunden. Als habe es ihn auf dieser Welt nie gegeben.
Sie hoffte, heute endlich mehr über seinen Verbleib zu
erfahren.
Das Tuten im
Hörer malträtierte ihren Schädel. Sie massierte sich
mit der freien Hand die Schläfen. Kopfschmerz und
Übelkeit machten ihr zu schaffen. Schuldgefühle und Wut
über die eigene Unfähigkeit, der Sucht zu widerstehen,
quälten sie.
Endlich meldete sich
jemand am anderen Ende der Leitung. »Hallo?«
»Und?« Ihr
Herz schlug bis zum Hals, und sie gab sich Mühe, ihrer Stimme
einen festen Klang zu verleihen.
»Ich kann nichts
sagen, weil ich nichts weiß.« Die Stimme klang
abweisend. »Das habe ich Ihnen schon neulich versichert, und
seitdem hat sich an diesem Umstand nichts
geändert.«
»Ich will
wissen, was mit meinem Mann ist.«
»Das
interessiert mich offen gestanden nicht. Ich habe wirklich andere
Sorgen. Die Polizei und die Presse sind wach geworden, und ich habe
eine Menge Ärger
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