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Bittere Pille

Bittere Pille

Titel: Bittere Pille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schmidt
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reflektierte sich tausendfach
am Ufer. An manchen Tagen hatte die Stadt ein fast mediterranes
Flair, die Luft duftete nach Sommer und frischen Blüten, dann
fühlte sie sich besonders wohl hier. Wie immer hatte sie Lena
bei der Mutter abgeliefert. Sie wohnte nicht weit weg und
kümmerte sich nur allzu gern um die dreijährige Tochter,
während Daniela George als Assistenzärztin ihr
tägliches Brot in der Klinik Wiesenhang verdiente. Ihre Mutter
ahnte nichts von dem, was in der angesehenen Privatklinik vor sich
ging. Natürlich ahnte sie nichts. Daniela würde Licht ins
Dunkel bringen. Das, was dort geschah, konnte sie nicht mit ihrem
Gewissen vereinbaren. Vielleicht sollte sie auch einfach zur
Polizei gehen. Aber womöglich hielt man sie dort für
verrückt. Der Zug aus Richtung Oberbarmen wurde über der
Wupper sichtbar. Die Bahn verringerte das Tempo und rollte
gemächlich in der Station ein. Auf dem Bahnsteig brach Hektik
aus. Die wartenden Fahrgäste stürmten auf die Bahn zu,
deren Türen sich gerade ratternd öffneten. Irgendwann in
den nächsten Jahren sollten neue Züge kommen, doch
bislang schien das alles noch Zukunftsmusik zu sein.
    Daniela George stieg
in die Bahn ein und ließ sich auf einen der cremefarbenen
Hartplastiksitze sinken. Aus den Lautsprechern über ihrem Kopf
ertönte Musik. Joe Cocker röhrte Summer in the City. Wie
passend, dachte sie lächelnd. Seit einiger Zeit wurde das
Programm der Wupperwelle im Wahrzeichen der Stadt gesendet. Als sie
wieder an die Klinik dachte, beschlich sie ein ungutes Gefühl.
Neunundzwanzig Jahre war sie nun alt, und nach dem abgeschlossenen
Medizinstudium hatte sie es sich zum obersten Ziel gemacht, kranken
Menschen zu helfen. Stolz hatte sie ihrer Mutter von der Stelle in
der renommierten Klinik Wiesenhang berichtet. Es stand außer
Frage, dass Mutter sich um Lena kümmerte, solange sie arbeiten
musste. Inzwischen war sie Assistenzärztin geworden.
Allerdings liefen in der Klinik krumme Geschäfte. Sie wusste nicht, was dort
genau vor sich ging, dennoch hatte sie sich mit diesem Journalisten
treffen wollen, der anscheinend über die dunklen
Machenschaften der Klinikleitung informiert war. Sie selber war bei
einer Operation anwesend gewesen, bei der ein Patient gestorben
war, dem nicht zugelassene Medikamente verabreicht worden
waren.
    Die Türen
schlossen sich. Im Zug der übliche Betrieb um diese Zeit.
Gelangweilt blickende, ausdrucklose Mienen so weit das Auge
reichte. Hausfrauen, Rentner und einige Teens, die offenbar den
Anschluss verpasst hatten. Die vier Triebwerke auf dem Dach der
Bahn surrten leise, dann setzte sich die Schwebebahn in Bewegung.
Schon bald ließ der Zug die Kreuzung am Alten Markt hinter
sich. Als sie die Stelle erreicht hatte, an der einst der kleine
Elefant Tuffi in die Wupper gestürzt war, ertönte die
Stimme eines Moderators aus den Lautsprechern. Der
»Morningman« berichtete über die Bezuschussung des
Schulmittagessens, seit einiger Zeit ein heikles Thema im Barmer
Rathaus. Er klang sympathisch, und seine Stimme gefiel ihr. Sie
hörte dem Moderator der Wupperwelle zu und glaubte, seine
Stimme zu kennen. Dann, als er sich mit »Stefan Seiler«
vorstellte, erhellte ein Lächeln ihr Gesicht. Sie kannte den
Moderator gut. In ihr reifte ein Entschluss.
    Als die Bahn in der
Station »Landgericht« einlief, nahm sie sich vor,
Kontakt zu Stefan Seiler aufzunehmen. Je schneller, desto besser,
dachte sie und lehnte sich weit in dem Plastikschalensitz der Bahn
zurück. Die Rückseiten einstiger Fabrikgebäude
flogen an der Bahn vorüber, und der Fluss unter ihr glitzerte
in der Sonne. Ja, dachte Daniela, es war Zeit, alte Freundschaften
aufleben zu lassen.

26
    Redaktion der
Wupperwelle, 8:25 Uhr
    Heike fragte sich,
warum ausgerechnet sie immer das zweifelhafte Vergnügen hatte,
dem Chefredakteur der Wupperwelle in die Arme zu laufen, wenn sie
morgens zum Dienst erschien. Die anderen Kollegen an den
Schreibtischen im Großraumbüro der Redaktion bedachten
sie mit mitleidigen Blicken.
    Stefan hatte
Frühdienst und stand bereits im gläsernen Studio des
kleinen Senders. Als er aus dem Haus gegangen war, hatte sie sich
noch einmal im Bett umgedreht. Gut drei Stunden später war sie
mit der Schwebebahn zum Alten Markt gefahren, von wo aus sie das
Studio zu Fuß erreicht hatte.
    Stefan fuhr die
Frühsendung »Wupperwecker« und winkte ihr zu, als
gerade ein Musikstück lief. Gern hätte sie ihn im Studio
besucht, doch der Chefredakteur winkte

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