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Bitterer Chianti

Bitterer Chianti

Titel: Bitterer Chianti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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an.
    «Also Waldarbeiter?»
    «Ja, vorhin, als ich heraufkam.»
    «Ah, ecco! Haben Sie deshalb Ihren Wagen hier gelassen?»
    «Ja. Ich kam nicht durch. Vorne in der Schneise müsste er stehen.»
    Hoffentlich war es so, sonst wäre Schluss mit der Reportage. Blitzanlage futsch und alle Kameras, das wäre das Ende. Für Frau Oberländers Geschmack hatte er längst nicht genügend bunte Bildchen gesammelt, außerdem fehlten Porträts von einigen Winzern und deren Aziendas. Für einen kleinen Fotoband übers Chianti Classico voller Menschen und Dynamik, wie er ihn sich vorstellte, reichte es aber allemal. Die Pflicht war immer schwieriger als die Kür.
    Fast freundschaftlich klopfte Frank dem unversehrten Volvo aufs Dach, und er kam gerade zur rechten Zeit zurück, als der Boden im Treppenaufgang einbrach. Steine polterten in die Tiefe. Als der Staub sich verzogen hatte, zog ein scharfer, kalter Hauch aus dem Boden, der Geruch von Fäulnis und Muff wie aus einer Gruft.
    Der Hofhund lief herbei und wollte in die Öffnung springen, aber Malatesta griff ihm in den Nacken und riss das jaulende Tier zurück. «Bindet ihn an. Nicht dass er erstickt, da ist vielleicht Kohlendioxid!»
    Die Signora nahm ihrem Mann den Hund ab, der Kellermeister brachte Lampen, und der Winzer stieg mit einer Kerze in der Hand als Erster hinab ins schwarze Loch. Frank folgte ihm, dahinter der Kellermeister und dann Signora Malatesta. Die Treppe schien endlos, Mörtelbrocken kollerten über die Stufen, es klirrte. Also lag dort unten Glas. Am Fuß der Treppe blieben alle stehen. Der Keller war lang und schmal, teils gemauert, teils aus dem Fels gehauen. An den Wänden zogen sich Regale aus Stein, die zum Teil bis unter die Rundbögen mit Flaschen gefüllt waren. Darüber lag ein dickes Gespinst von grau-schwarzen Schimmelpilzen oder Spinnweben.
    Malatesta säuberte eine Flasche, das Etikett war lesbar: «1941», sagte er fasziniert und hob die Flasche wie eine Trophäe. «Die hat mein Großvater abgefüllt. Ich glaube, hier unten war seit Kriegsende kein Mensch, sechzig Jahre lang ...»
    Frank begann sofort zu fotografieren. Die Blitze ließen die Szenerie noch schauerlicher wirken, als sie ohnehin war, aber der Schimmelpilz sog das Licht auf, und im Licht des Blitzes sah Frank Reflexe, die er so nicht wollte. Hier gute Aufnahmen zu machen würde schwierig werden.
    «Dahinten geht es weiter», flüsterte der Kellermeister, leuchtete in einen Seitengang mit einem rostigen Gitter und zog erschrocken den Kopf ein, als ihm von der Decke hängende Spinnweben durchs Gesicht fuhren. Obwohl er Keller gewohnt war, war ihm dieser hier gar nicht geheuer.
    Frank überlegte bereits, wo er die Blitzanlage aufstellen sollte, am besten mit unter die Decke gerichteten Reflektoren oder Lichtquellen hinter den Schleiern der Schimmelpilze, als er den Schrei hörte: Schrecken und Überraschung. Malatesta und der Kellermeister standen am Ende des Gangs zum zweiten Raum, vor ihnen lagen unförmige Haufen, die mal Uniformen gewesen waren, Kragenspiegel, Koppel, vom Schimmel zerfressene Militärstiefel und darüber Helme der deutschen Wehrmacht. Tote Soldaten? Daneben waren Munitionskisten gestapelt, und rechts an der Wand lagen Karabiner und Handgranaten.
    Signora Malatesta stand mit schreckgeweiteten Augen daneben, als ihr Mann mit dem Fuß Uniformfetzen beiseite schob, in Erwartung, ein Skelett zu finden. Der Kellermeister kratzte an einem der Koppelschlösser, und ein Hakenkreuz kam zum Vorschein.
    «Da haben Sie Ihre Bilder, Franco», murmelte er grinsend, aber seinem Chef war nicht nach Scherzen zumute. Er schluckte und wandte sich ab. Seine Frau ging zu ihm und sprach leise auf ihn ein.
    Frank durchsuchte den angrenzenden Raum und fand drei Panzerfäuste, eine Kiste mit Dynamit und zwei Maschinenpistolen.
    «Dass mir niemand etwas anrührt, bevor alles fotografiert ist», ließ sich Malatesta vernehmen. «Fang schon an, Franco, los ...»
    «Hast du gewusst, was hier liegt? Hast du mich deshalb herbestellt?»
    «Ich habe es geahnt», sagte Malatesta gefasst. «Ich habe meinen Großvater nie kennen gelernt. Ich wurde erst nach seinem Tod geboren. Mein Vater hat mir erzählt, dass er nach der Landung der Alliierten in Sizilien die Partisanen unterstützt hat. Politisch hat er mit niemandem sympathisiert, weder mit dem König noch mit Mussolini, mit Hitler sowieso nicht, wie mein Vater erzählte. Maria! Wir müssen ihn sofort holen», sagte Malatesta erregt zu seiner

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