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Bitterer Chianti

Bitterer Chianti

Titel: Bitterer Chianti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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schön wie an den ersten Tagen. Die Luft wurde feuchter, verlor ihre Leichtigkeit, und auch das Licht war gemildert, verschwommener. Noch hinderte es ihn nicht an der Arbeit, aber es kam ihm auch nicht entgegen. Dieses diffuse und gebrochene Licht nahm vielem die Schärfe. Dabei war es gerade jetzt an der Zeit, klar zu sehen. In einer Woche würde er hier fertig sein, Christine würde kommen, und dann? Was war mit Antonia, wie ging es weiter? Und kaum dachte er an einen möglichen Abschied, fühlte er einen Stich. Er konnte nicht mehr einfach so Weggehen und nach Hamburg fahren, als wäre nichts gewesen.
    Er fand in Panzano einen Parkplatz direkt gegenüber dem La Curva. Am frühen Morgen stand niemand nach Eis an, dafür veranstalteten die Fahrer diverser Lieferwagen, die hier frühstückten, einen mordsmäßigen Krach. Jeder kannte jeden, alle redeten gleichzeitig und in einer Lautstärke, als müsste man denen auf der anderen Straßenseite das Leben erklären. Die Szenerie gefiel Frank, und wieder zog die Fülle seines Frühstücks die Blicke auf sich. Er fand einen freien Stuhl am Fenster, wo ihn niemand anrempelte.
    Frank wehrte sich gegen den Arbeitstag, hielt sich den Objektivwechsel, Belichtungszeiten und Aufhellblitz noch eine Weile vom Leib, denn die Erinnerung an die vergangene Nacht war zu schön. Er fühlte den Körper dieser Frau in seinen Armen, roch den Duft ihres Haares, spürte ihren Atem an seiner Schulter, an seinem Hals, er merkte, wie sie die Beine um ihn schlang ... Gewaltsam riss er sich von der Erinnerung los. Er musste zu Malatesta.
    Als die Kellerei gebrannt hatte, war er hinter Scudiere hergerast, zuerst auf der Superstrada, danach über die Dörfer. Heute kam er von Osten, wie beim ersten Besuch. Die winzige Straße von hier in Richtung San Casciano war entsetzlich schmal; falls ihm jemand entgegenkam, würde es krachen. Dementsprechend vorsichtig fuhr Frank. Er fand die Abzweigung zu Malatestas Weinberg, und der Asphalt ging in Stein und Staub über. Die ersten beiden Kilometer ging es in engen Kurven durch den Wald bergauf. Eine traumhaft schöne Lage, leider nur schlecht zu erreichen.
    Als Frank merkte, dass er zu früh dran war, bog er in eine fast zugewachsene Schneise, stellte den Motor ab und öffnete die Wagentür. Er konnte noch ein wenig träumen, sich erinnern und an sie denken. Wie lange war es her, dass er sich so stark zu einer Frau hingezogen gefühlt hatte? Hier und da hatte es in den vergangenen Jahren mal eine Beziehung gegeben, das Wort allein sagte alles. Es war immer darum gegangen, dass einer des anderen Bedürfnisse befriedigte. Für eine Nähe, wie er sie mit Antonia empfand, war da kein Platz gewesen, oder Christine hatte sich dazwischengedrängt. Bei ihrer Mutter tat sie das nie.
    Was war das? Ein Laut?
    Frank schoss aus dem Sitz und lauschte, er hielt den Atem an. Vogelgezwitscher? Ja – aber da war noch was ... Stimmen waren das, menschliche Stimmen, Männer! Er griff nach dem Stiel des Beils neben der Handbremse. Kampflos würden sie ihn nicht kriegen.
    Als die Wirkung des Adrenalins langsam nachließ, konnte er wieder denken und legte den Knüppel weg. Waldarbeiter, wer sonst konnte um diese Zeit hier sein? Die Erlebnisse der vergangenen Tage hatten Frank übervorsichtig gemacht, und er ging, konzentriert auf die Umgebung achtend, auf dem Weg weiter in Richtung Weingut. Die Laute gewannen Konturen, wurden zu Stimmen, drei ließen sich unterscheiden.
    «Das klemmt nicht...», glaubte er jemanden sagen zu hören. Frank duckte sich, um nicht gesehen zu werden, dafür konnte er die Männer sehen. Sie hantierten an einem mit Rundholz beladenen Fahrzeug ... Frank schnappte nach Luft. Da vorn – blasses Gesicht, schwarzer Anzug, Krawatte, schwarze Sonnenbrille, ein Pflaster am Kopf. Als der Mann etwas mit seinem amerikanischen Akzent sagte, war jeder Zweifel ausgeschlossen. Der unverletzte Prediger. Was tat der hier? Frank lauschte, aber die Männer sprachen in die andere Richtung. Er musste näher ran und – wer waren die anderen? Woran bastelten sie herum?
    Es war ein Anhänger, beladen mit Baumstämmen. Er stand schräg oberhalb der Böschung und konnte jeden Moment umfallen. Der Abhang rechts neben dem Weg war abgeholzt und führte steil in die Tiefe. Da hätte ich vorbeigemusst, dachte Frank und schüttelte fassungslos den Kopf. Wenn die Baumstämme sich lösten oder der Hänger umkippte, dann ... ja dann würden sie jemanden zerschmettern oder in den

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