Bitterer Chianti
nicht weit. Kaum hatte Frank die Fototasche geschultert, sank seine Laune wieder in den Keller. Avvocato Strozzi kam mit ausgestreckter Hand auf ihn zu, wie immer perfekt gekleidet: Heute war es der beige Leinenanzug und der olivfarbene Schlips, dazu hellbraune Mokassins. Oben in der Tür zum Verkostungsraum stand der Graf in Jeans und kurzärmeligem Oberhemd und wandte die Augen hilfesuchend dem Himmel zu.
Ihn quält dieser lästige Besucher fast so wie mich, dachte Frank, obwohl er nicht ahnt, was ich zu berichten habe. Wieso ist Strozzi hier?
«Es freut mich ...», begann der Avvocato seinen Wortschwall, klopfte Frank vertraulich auf die Schulter und nickte ihm aufmunternd zu. «Kommen Sie voran? Sind Sie mit uns zufrieden? Man hört überall von Ihnen. Mal tauchen Sie da auf, mal dort, jetzt hier, sieht aus, als gehörten Sie mittlerweile dazu, zu uns, nicht wahr?» Strozzi begleitete Frank die Stufen zum Haus hinauf und lotste ihn in den Verkostungsraum.
«Es ist wichtig, dass Menschen wie Sie uns besuchen, Signor Gatow. Ihre Arbeit hat eine große Bedeutung für uns. Die Konkurrenz schläft nicht. Wir haben uns lange auf unseren Lorbeeren ausgeruht. Jetzt kommt die Strafe. Die Weinwelt ist im Umbruch. Vor zehn Jahren waren die Gewinne sicher, aber inzwischen schwächelt die Weltwirtschaft, wir verlieren Märkte, die Leute sind preisbewusst geworden. Man achtet auf Qualität, und genau das ist unser Ziel...»
Während Strozzi weiter über den neuen Geist salbaderte, der durch das Chianti wehe, entkorkte der Graf zwei Flaschen, bemerkte Franks fragenden Blick und zuckte hilflos mit den Achseln.
«Wir dürfen den US-Markt nicht aus den Augen lassen, wir müssen uns nach ihm richten. Nach dem 11. September ist das Vertrauen der Amerikaner gegenüber Europa auf dem Nullpunkt angekommen. Ihre Regierung hat da einiges ...»
«Das ist nicht meine Regierung», warf Frank ein. «Das ist die deutsche Regierung ...»
«... umso besser, ich bin auch konservativ. Tradition und Moderne, nur so können wir uns den Herausforderungen der Globalisierung stellen ...»
«Und die sind?», unterbrach Frank.
Strozzi kam ins Stottern. «Äh, na ja, zum Beispiel, sehen Sie, die billigen Weine aus Chile oder Argentinien. Und dann, äh, tritt Mexiko auf den Weltweinmarkt. In den USA gibt es eine Überproduktion an Trauben, das macht die Preise kaputt.»
«Sollen wir toskanische Weine für zwei Euro pro Flasche anbieten?», fragte der Graf. «Bei Verkostungen in den USA hören wir immer wieder, dass die Verbraucher europäisch gemachte Weine mögen, aber sie werden einem nach Zucker und Barrique schmeckenden, simpel gemachten Wein immer den Vorzug geben.»
Frank fürchtete, dass Strozzi sein Lieblingsthema aufgriff, doch der Avvocato winkte ab. Billigwein sei nicht die Berufung des Chianti, und er entwickelte seine Marketingstrategie, die darauf basierte, die Aktivitäten zu bündeln, Werbung nur für den Namen zu machen, für nur einen Wein, und so den Bekanntheitsgrad der Region und damit die Chancen für alle Winzer zu erhöhen.
Frank verstand davon nur so viel, dass Strozzi Weingüter zusammenfassen wollte, die dann unter einem Namen auftreten sollten. «Wollen Sie die verschiedenen Trauben alle in einen Bottich schütten und über ...»
«Homogen müssen sie sein, von gleicher Beschaffenheit ...», und während Strozzi dem Grafen sein Konzept darlegte, schweiften Franks Gedanken ab. Er sah die Karte des Chianti Classico, die Mehrzahl der von Sabotage betroffenen Güter lag relativ nahe beieinander. Stefano kannte sie alle, er würde beurteilen können, ob hier Weine von gleicher Beschaffenheit produziert wurden.
Strozzi redete und redete. Wenn Frank versuchte, das Gespräch zu einem Ende zu bringen, fachte es der Avvocato wieder an; kam es zwischen Frank und dem Grafen zu einem Zwiegespräch, drängte Strozzi sich sofort dazwischen. Irgendwann gaben Frank und der Graf auf. Der Politiker ließ sie weder ausreden, noch ging er auf ihre Argumente ein -ein typischer Vertreter seines Berufsstands, dachte Frank. Er musste seine Aussprache mit dem Grafen verschieben, dabei wurde es allmählich zu einer Überlebensfrage. Eines jedenfalls hatte sich im Gespräch herausgeschält: Graf Solcari plädierte für die Unabhängigkeit auch des kleinsten Winzers. Das schloss ihn aus dem Kreis der Verdächtigen aus. Dafür predigte Strozzi die Zusammenlegung vieler Weingüter und fasste sogar eine gemeinsame Verwaltung ins Auge.
Predigen
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