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Bitterer Chianti

Bitterer Chianti

Titel: Bitterer Chianti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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Küche, die an den Wohnraum mit Schreibtisch und Sitzgruppe anschloss, das Weinregal war gefüllt. Rechts lag ein offener Kamin, daneben führte eine Tür zum Schlafzimmer. Frank öffnete die Fenster und klappte die Läden auf. Ihm bot sich ein atemberaubender Anblick: Berge und Wälder, terrassierte Hügel mit Olivenbäumen, Benevoles Obstgarten und Wein -eine in Jahrhunderten gewachsene Landschaft. Inmitten der Grüntöne schimmerte grau und ocker die toskanische Erde durch, und ein paar alte Gemäuer, eingefallen und restauriert, leuchteten in der Sonne.
    «Che vista divina », sagte Frank zu dem Winzer, der neben ihm am Fenster stand, «ein göttlicher Ausblick!»
    «Man gewöhnt sich dran», murmelte Benevole gleichgültig, obwohl er um die Wirkung dieser Aussicht wusste. «Wegen der Verkostung – ich komme nicht mit nach Siena, mein Kellermeister fährt hin, falls Sie Fragen haben. Sie fahren also besser mit dem eigenen Wagen.»
    Viel Zeit zum Duschen blieb nicht, und nachdem Frank die Liste der gemachten Aufnahmen vervollständigt hatte, machte er sich auf den Weg nach Siena. Stefano Scudiere würde später kommen, er war noch einmal nach Florenz in seine Wohnung zurückgefahren.
    Bei Ponte Bozzone erreichte Frank die Landstraße, und von dort aus war es ein Katzensprung bis zur Stadt, dem Torre del Mangia an der berühmten Piazza sowie die Kuppel des Doms wiesen den Weg. Unterhalb der Porta Ovile fand er einen Parkplatz, musste jedoch eine Weile warten, bis die Ampel der Einfahrt Grün zeigte und er einen freien Platz fand. Von hier aus waren es ein paar Schritte zu den Rolltreppen, die ihm den mühsamen Aufstieg in die Altstadt ersparten. Das Gedränge wurde unangenehm. Frank hatte für diesen Anlass den Fotorucksack gewählt, den er vor der Brust tragen konnte. So waren die Kameras sicher. Allerdings kam er sich mit Sakko und Krawatte dabei etwas deplatziert vor.
    Er überquerte einen Platz mit einer terrakottafarbenen, recht schmucklosen Kirche im Hintergrund und schritt auf der Via Rossi unter einem hohen Torbogen hindurch. Der Strom der Menschen zwischen hohen Häusern mit braunen und grünen Fensterläden riss ihn mit, Frank passte sich der Geschwindigkeit an, immer bedacht, dass ihm nicht irgendwer ein Eis ins Gesicht oder auf sein Jackett drückte. Zumindest diesen Tag sollte es heil überstehen, ansonsten würde sich wohl kein anderer Anlass ergeben, bei dem er es tragen müsste.
    Die Piazza del Campo war überfüllt, sämtliche Cafés bis auf den letzten Platz besetzt, und Hunderte standen davor an. Zwischen den hohen Häusern staute sich die Hitze, und auf den Steinen des muschelförmigen Platzes lagerten anscheinend alle Touristen, die sich gegenwärtig in Italien aufhielten. Frank flüchtete in eine Nebengasse, quetschte sich an Finnen vorbei, überholte langsam die Belegschaft einer koreanischen Werft, schwenkte mit Argentiniern in Dreierreihe nach links – und stand völlig unerwartet neben dem Dom. Davor drängten sich die Massen wie bei einem Konzert der Rolling Stones.
    Eine Weile betrachtete Frank versonnen die weiße Fassade, nein, es war auch roter und grüner Marmor dabei. Säulen, Türmchen, Zinnen und Statuen machten die Front des Doms zu einem lebendigen Bild. Stunden hätte er hier stehen können, versunken in die Betrachtung von Rundbögen und Kapitellen, als in das Gewirr aus Tausenden von Stimmen sich ungewohnte Klänge mischten. Ein Gospelchor aus Heilbronn sang auf den Stufen Oh Happy Day. Der war jedoch endgültig vorüber, als ihn jemand anrempelte und mit dem Ellenbogen gegen seine Nase stieß, die sofort wieder blutete. Taschentücher hatte er vorsichtshalber eingesteckt, und so verkroch er sich in eine Ecke und drückte sich die Tücher an die Nase. Erst als die Blutung vollständig gestillt war, betrat er das Ospedale Santa Maria della Scala.
    Ruhe und Dämmerlicht umfingen ihn, still war es und kühl. Die Dame am Empfang suchte auf der Gästeliste vergeblich nach seinem Namen. Sie rief beim Consorzio an, doch seine Sachbearbeiterin war mit den Journalisten unterwegs, und sonst wollte niemand die Verantwortung für Franks Teilnahme an der Verkostung übernehmen. Nach endlosem Palaver und mehrmaliger Prüfung des Presseausweises wurde er eingelassen. Scudiere musste ihn vergessen haben.
    Er besichtigte die Kirche zur Linken mit Marmoraltar und Bronzeengeln, der Blick hinauf zur Kassettendecke tat seiner Nase gut, Frank folgte dem Wegweiser mit dem Schwarzen Hahn in die

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