Bitterer Chianti
Vignabella – aber wieder kein Büro. Angestellte einer im Haus befindlichen Firma erzählten, dass sie vor kurzem jemanden gesehen hätten, der den Briefkasten geöffnet hatte, aber an ein Gesicht konnte sich niemand erinnern. Wieder Fehlanzeige.
Das waren also diese berüchtigten Briefkastenfirmen, von denen man ab und an hörte, wenn Hunderte von Anlegern um Millionen betrogen worden waren. In San Gimignano hatte es nicht mal einen Briefkasten gegeben. Di Chiarli hatte verkauft, demnach gab es einen Käufer, und der war normalerweise im Grundbuch eingetragen. Pandolfini würde ihm bei dieser Frage helfen. Ob der junge Spund sich damit auskannte? Einfach fragen! Um zehn Uhr heute Abend würde er ihn treffen, der Tag würde lang werden.
Die Fahrt zurück zu Giorgio Amarone nutzte Frank, um sich nach weiteren Motiven umzusehen. Er hatte mittlerweile mehr als die Hälfte der Winzer im Kasten, aber die Systematik der Rebsorten war aus der Reihe gekommen, seit Scudiere weg war, und es fehlten hübsche Extras wie historische Brunnen, Restaurants, Hügel mit Zypressen und Pinien und Schafen. Darauf waren alle Bildredakteure gut zu sprechen.
Frank fuhr bis Moterrigioni, ließ an der Tankstelle den Volvo waschen, der aussah wie nach der Rallye Paris-Dakar, und trank an der Bar nebenan ein Bier, dabei aktualisierte er die Liste der bereits gemachten Aufnahmen. Hätte er die F4 als digitale Ausführung gekauft, wären ein Extraspeicher nötig gewesen und ein Laptop, um die Bilder anzusehen. So blieb ihm zwar nur sein Gedächtnis, aber auch wenn er mehrere hundert Fotos machte, so konnte er sich doch an jede einzelne Aufnahme erinnern.
Zum Labor würde er es nicht schaffen, also würde er die neuen belichteten Filme dem Anwalt geben – das war sicherer, als sie mitzuschleppen. Mit einem Mal hatte er wieder das ungute Gefühl, dass ihm jemand folgte. Er hatte es seit dem Morgen. Er stand auf und lief zum Wagen, aber niemand wechselte aufgeschreckt die Position, kein Wagen, der plötzlich losfuhr oder zurücksetzte. Noch herrschte Nachmittagsruhe.
Frank nahm den Weg nach Castellina Scalo, bog rechts ab und kam bei Checchi vorbei, einer Großkellerei, die auch auf dem Arbeitsprogramm stand. Links lag die Villa Cerna, ein imposantes Gebäude auf der Spitze eines Kegelberges, halb hinter Bäumen verborgen. Hier, im Tal der Staggia, am Fuß der Monti del Chianti, war das Land flach. Etwas abseits lag das Castello di Monteluna des Grafen Solcari, mit dem er dringend reden musste, obwohl es Frank nicht behagte, für ihn den Zuträger zu spielen.
Frank kannte mittlerweile alle wichtigen Straßen im Chianti Classico, überall hier war er schon gewesen, aber er entdeckte trotzdem täglich Neues. In Liliano fand er die einzige Buchsbaumallee dieses Landstrichs. Die Sonne stand ideal für ein Bild mit der romanischen Kirche im Hintergrund. In den Hügeln dahinter hatte er in dieser Woche einige Weingüter auf dem Programm. Frank fuhr weiter, mittlerweile raste er genauso auf den Landstraßen wie die Einheimischen, die er vorher verflucht hatte, und kam kurz darauf wieder bei di Chiarli vorbei. Eine Viertelstunde später war er in Castellina, weitere fünfzehn Minuten später in Radda und fand sofort den Weg zu Giorgio Amarone.
Der Winzer war inzwischen zurückgekehrt und erwartete ihn in seinem Arbeitszimmer, einem mit Akten und Büchern voll gestopften Raum im Gebäude der Kellerei. Frank wusste nicht so recht, wie er das Gespräch beginnen sollte, da ihn nichts mit dem Winzer verband, außer der Beobachtung, dass man bei der Verkostung seine Weine manipuliert hatte. Und diese Beobachtung schilderte Frank, er ging ein Risiko ein, zumal sein Name als Verdächtiger im Fall Palermo genannt worden war. Damit war Spekulationen Tür und Tor geöffnet. Es kam allein auf seine Überzeugungsgabe an. Reden war nie seine Stärke gewesen, wohl aber die Beschreibung von Bildern. Also schilderte er dem Winzer den Nachmittag in Siena wie einen Film.
Giorgio Amarone hörte fasziniert zu und starrte dabei finster auf den vor ihm liegenden Papierberg. Erst als Frank geendet hatte, sah er ihn an:
«Warum kommen Sie zu mir? Welches Interesse verfolgen Sie? Es könnte Ihnen egal sein, was bei uns passiert, ob einer verkaufen muss und ein anderer Bankrott geht.»
«Wenn Sie Zeitung gelesen haben, wissen Sie, dass ich zum Kreis der Verdächtigen gehöre. Ich will, dass die wirklichen Täter gefasst werden. Ich bin niedergeschlagen worden, man
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