Bitterer Chianti
wurde hervorragend bezahlt, die Aufnahmen waren technisch gesehen ein Kinderspiel gewesen, alles kein Problem. Aber an den Porträts der Vorstände und Aufsichtsräte war er schier verzweifelt. Die Aufgabe, den Männern, denn um solche handelte es sich ausnahmslos, wenigstens einen Anflug von Lebensfreude ins Gesicht zu zaubern, war kaum zu lösen gewesen, nicht mit Licht, nicht mit Schminke oder guten Worten. Er sollte die Männer von ihrer positiven Seite zeigen, aber er konnte keine finden. Cash-Flow, Marketingstrategien und Shareholder-Value waren ihnen ins Gesicht geschrieben. Unter ihnen war nicht ein einziger richtiger Mann gewesen.
In Poggibonsi folgte Frank den Wegweisern nach San Gimignano und wurde über ein völlig idiotisches System von Kreisverkehren um die Stadt herumgeführt. Dahinter begannen wahllos in die Gegend gebaute Straßen. Braun war das Land, trocken, verbrannt, es lechzte nach Regen, es wünschte sich Schatten und einige Monate Ruhe, es hatte für dieses Jahr sein Bestes gegeben. Jetzt mussten nur noch die letzten Trauben gelesen werden.
Die hohen, rechteckigen Türme von San Gimignano sah Frank erst, als er auf dem Parkplatz unterhalb des Stadttors anhielt. Er konnte sich glücklich schätzen, bei dem Andrang von Autos, Campern, Motorrädern und Bussen einen Parkplatz gefunden zu haben. Aber ein Vergnügen war die Stadt nicht: In Sechserreihen schoben sich Touristen laut an Souvenirläden, Galerien und Lebensmittelgeschäften vorbei in Richtung Zentrum, in Sechserreihen kamen andere zurück, sodass sich die Zahl der Neuankömmlinge mit denen der Abgänge die Waage hielt. Es war schauderhaft. Er sollte im Winter hierher kommen, nachts oder morgens um fünf, dann ließ sich vielleicht noch etwas vom Mittelalter erahnen.
Im Augenblick allerdings war Geduld gefragt. Erfreulicherweise war der Weg zum Immobilienbüro einfach zu finden. Er brauchte nur bis zur Piazza della Cisterna zu gehen, wo Hunderte mit offenen Mündern zu den Geschlechtertürmen aufsahen, die San Gimignano berühmt gemacht hatten, da hielt er sich links, bahnte sich einen Weg durch die Menge und ging weiter geradeaus – in die Via San Matteo.
Nummer 31 war ein vierstöckiges Eckhaus. Der Lebensmittelladen im Erdgeschoss bot wunderbare Pastasoßen in allen Variationen. Ein Regal war gefüllt mit getrockneten und eingelegten Pilzen, in einem anderen lagen alle Arten und Formen von Pasta, und im Fenster stand der übliche Vernaccia di San Gimignano, ein Weißwein, den er noch nicht probiert hatte. Dünn und langweilig sollte er sein ...
Verdammt, deshalb bin ich nicht hier, dachte Frank und suchte an der Haustür links in der schmalen Gasse nach dem Firmenschild des Maklerbüros. Da stand Mattei auf einem Klingelschild, da wohnten ein Jacopo Bacci und eine Signora Fiorentini – aber keine Firma namens Terranuova – das gab es doch nicht...
Frank betrat den Laden und sprach den korpulenten Verkäufer hinter dem Tresen freundlich an. «Ich suche eine Immobilienfirma, hier im Haus, Terranuova soll die heißen.»
«Qui non c‘è», sagte der Verkäufer und breitete bedauernd die Hände aus, «gibts hier nicht.»
«Hat es die mal hier gegeben?»
«Nein, niemals. Das war immer nur mein Laden. Außerdem wohnen seit Ewigkeiten dieselben Leute hier.» Der Mann hielt inne. «Wie soll die Firma heißen?»
«Terranuova ...»
Er öffnete die Hintertür und rief seine Frau. Nach anfänglichem Zögern erinnerte sie sich. «Da ist mal Post gekommen, wir hatten mal zwei oder drei Briefe hier, aber ein Büro? Nein, das haben die hier nie gehabt.»
Frank kaufte etwas Käse und Salami, ließ sich ein Brot und Oliven geben und fotografierte das Ehepaar. Als er vor die Tür trat und die Menschen an sich vorübertreiben sah, blieb er stehen. Wenn es Briefe mit dem Namen der Firma gegeben hatte, dann hatte sich der Kellermeister von di Chiarli nicht geirrt. Dann hatte es die Firma wirklich gegeben. Aber – wo war sie abgeblieben? Wem gehörte das Weingut jetzt? Frank gab sich einen Ruck, ließ sich nach vorn fallen und vom Menschenstrom wieder aus der Stadt hinaustragen. Er packte die Lebensmittel in die Kühlbox und setzte sich hinters Steuer. Er hoffte in Colle Val d’Elsa auf mehr Glück.
Das hatte er auch. Er fand die Straße, das Haus mit der entsprechenden Nummer, einen hypermodernen Bürobau, ein Messingschild mit dem Firmennamen Vinterra Immobile, darunter ein Briefkasten, und noch eines, genau das hatte er gesucht:
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