Bitterer Nachgeschmack - Anthologie
hinter einen Schrank und erst, als die Tobende alle Flugblätter in Stücke gerissen hat und erschöpft und schluchzend in einen Sessel fällt, wagt er sich wieder hervor. Er ist zwar ihre explosiven Ausbrüche gewohnt - doch das übersteigt alles bisher Dagewesene.
»Meine Tochter - beruhigt Euch«, mahnt der Abbé nach einer Weile mit ersterbender Stimme.
»Muss ich mir das gefallen lassen?«, herrscht sie den Ärmsten an, der eingeschüchtert den Kopf einzieht. »Antwortet!« Sie deutet auf das zerknüllte Papier.
»Die Strafe Gottes komme über den abscheulichen Schmierfinken«, murmelt der Abbé undeutlich und bekreuzigt sich mehrfach.
»Diese Schauspielerin ist an allem schuld! Sie hat Moritz verhext, ihn mir entfremdet! Aber ich werde ihr zeigen, wer ich bin!« Voller Zorn wirft sie die Reste des Flugblatts ins Feuer. »Ich könnte sie erwürgen, erdolchen!« Der im Weg stehende Betschemel, auf dem sie sonst so demütig kniet, erhält einen heftigen Fußtritt. »Die Pest über sie, diese Hure! Ein Vermögen dem, der ihr eine verdorbene Hostie verabreicht - ersticken soll sie daran!« Lauernd sieht sie ihren Beichtvater an, der heftig den Kopf schüttelt. »Das ... das wäre nicht im Sinne biblischer Gesetze«, wagt er mit versagender Stimme zu widersprechen.
»Zum Teufel mit allen Gesetzen!«, die Herzogin lässt sich nicht bremsen. Sie fächelt sich stürmisch Luft zu und geht erregt im Zimmer auf und ab. Erst langsam wird sie ruhiger und gewinnt ihre Selbstbeherrschung mit einer erzwungenen Kälte zurück, die dem Mann der Kirche Angst macht.
»Keine Sorge, lieber Abbé«, beginnt sie schließlich, »ich würde niemals zu weit gehen. Aber einen Denkzettel muss ich ihr verpassen, dieser Schlange von Lecouvreur, einen Hieb, der es in sich hat! Ich werde sie blamieren, so wie sie es mit mir getan hat, mitten auf der Bühne, vor den Augen all ihrer Verehrer - und Moritz soll Zeuge sein!« Ihre Augen blitzen auf. »Ich weiß auch schon wie. Gebt mir Absolution«, verlangt sie »im Voraus, auf alle meine Sünden!«
»Auf... welche Sünden? Was habt Ihr vor, gnädige Frau?« Der Abbé Bourret sieht sie beinahe ängstlich an. »Übereilt nichts, ich bitte euch!«
»Absolution - oder ich suche mir einen neuen Beichtvater und spende damit anderen Gemeinden! Tut, was ich sage!«
»Gott vergebe Euch!« Der Abbé nickt gehorsam, murmelt die heiligen Worte, schlägt das Kreuzzeichen und ist froh, als er sich entfernen darf.
Am folgenden Samstag herrscht in der Comédie Française jene gewisse Unruhe, die einer Premiere vorausgeht. Diesmal steht Voltaires Stück ›Ödipus‹ auf dem Programm und Adrienne wird in der Rolle der ›Jocaste‹ glänzen.
»Madame - ein neuer Geschenkkorb, diesmal noch prächtiger als sonst. Der Marschall von Sachsen hat ihn gesandt. Gefüllt mit den erlesensten Köstlichkeiten!« Marie kichert leise, während sie die Präsente betrachtet. »Und hier, das Billet von seiner Hand.«
»Wie aufmerksam von ihm«, sagt Adrienne zerstreut und sieht kurz von ihrem Manuskript auf. Sie ist dabei, sich auf jedes Wort ihrer Rolle zu konzentrieren, um jene schlafwandlerische Sicherheit zu gewinnen, die sie vor anderen Schauspielern auszeichnet. »Er verwöhnt mich wirklich!« Sie nimmt das kurze Briefchen mit den geschwungenen Zeilen entgegen, küsst es und überfliegt mit einem Blick das Sortiment bunten Zuckerwerks. »Ich nehme nur die Schokolade. Bedien´ dich nach Herzenslust daran, Marie! Du kannst das Gebäck, den Likör und die gefüllten Bonbons haben. Du weißt doch, zu viel Süßes bekommt mir gar nicht.«
»Danke, Madmoiselle, zu gütig!« Der Kleinen läuft das Wasser im Munde zusammen und sie steckt gleich eines der rosa Macarons in den Mund. »Mmmh, ganz frisch gebacken - und so gut!« Sie reicht ihr den mit fliederfarbenem Samt ausgeschlagenen Karton der Confiserie Charlôt mit seinen preisgekrönten Schokoladenkugeln und betrachtet das goldverzierte Emblem des Deckels. »Nach einem ganz besonderen Spezialrezept! Ah, bevor ich es vergesse, draußen wartet der Abbé Bourret. Er besteht darauf, unbedingt vorgelassen zu werden - er hätte Ihnen etwas ganz besonders Dringendes mitzuteilen.«
»Abbé Bourret? Ja, ich erinnere mich, ich habe ein Miniaturportrait bei ihm bestellt. Er malt wirklich meisterlich! Aber so kurz vor der Vorstellung kann ich ihn unmöglich empfangen. Das hat doch später noch Zeit - sag es ihm.«
Marie zuckt die Achseln. Sie lugt neugierig durch einen Spalt
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