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Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Titel: Bitterer Nachgeschmack - Anthologie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Senghaas , Iny Lorentz
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des Vorhanges. »Monsieur Voltaire sitzt in der ersten Reihe!«
    Adrienne lächelt. Sie ist in Gedanken schon halb auf der Bühne. Heute wird sie spielen wie noch nie! Voltaire ist ein strenger Kritiker! Ein paar Minuten Entspannung noch, in denen sie sich ein wenig zurücklehnen kann. Sie nimmt eine von Charlôts Schokoladenkugeln aus der fliederfarbenen Schachtel und lässt sie genussvoll auf der Zunge zerschmelzen. Sie sind heute besonders köstlich - nicht so süß, mit einem ganz bestimmten Unterton, einem Hauch von Marzipan? Wie lieb von Moritz! Sie wiederholt seinen Namen leise. Moritz - Maurice! Noch nie hat sie so geliebt! Sie denkt an seine Zärtlichkeit, seine Wärme, die Leidenschaft, die er ihr entgegenbringt und die sie in gleichem Maße erwidert. Wie charmant er ist, so zärtlich und großzügig! Jeden Tag schickte er neue Rosen, Parfüms, Süßigkeiten ...
    Sie verzieht leicht das Gesicht und ihre Hand fährt zur Magengegend. Seit einiger Zeit leidet sie an unerklärlichen Krämpfen, mit denen sie sich oft nachts im Bett herumwälzt und die sie mit Opium bekämpft. Ihr Leibarzt Silva hat diese Beschwerden auf die Anspannung der langen Theaterabende, auf unregelmäßiges Essen und zu viel Champagner geschoben. Er hat ihr einen leichten Imbiss vor dem Spiel verordnet und Alkohol verboten. Aber nein! Eine Mahlzeit, bevor sie auf die Bühne tritt! Undenkbar! Das würde sie nur müde, träge machen - wie soll sie da Feuer und Leidenschaft spielen, Verzweiflung und Glück? Champagner und Schokolade geben ihr dagegen Energie, beruhigen die Nerven und stärken das Gedächtnis - das ist ihre Erfahrung in den Jahren ihres Theaterlebens!
    Träumerisch sieht sie vor sich hin. Hat sie Moritz wirklich gezähmt, den wilden Abenteurer, den Kriegshelden, dem es die Frauen nur allzu leicht machen? Liebt er sie so wie sie ihn? Sie nimmt noch eine der köstlichen Schokoladenkugeln, eine dritte und nach einer Weile ist die Schachtel leer. Mit einem tiefen Seufzer erhebt sie sich schließlich. Es ist Zeit, sich anzukleiden und für die Aufführung fertig zu machen.
    Inzwischen rückt der Abbé immer unruhiger auf seinem Stuhl im Requisitenkabinett hin und her. Schließlich springt er auf und sucht nach Marie, die ihm mitteilt, Mademoiselle Lecouvreur könne ihn vor der Vorstellung keinesfalls empfangen.
    »Ich muss sie aber sprechen!«, schreit der Abbé auf. »Sofort! Es geht um Leben oder Tod. Wo ist der Geschenkkorb, den Mademoiselle Lecouvreur heute erhalten hat?«
    Die Zofe deutet auf das schleifenverzierte Präsent. »Dort! Der Marschall von Sachsen hat ihn geschickt.«
    »Oh Gott! Hat sie etwa davon gegessen?«
    Marie nickt verwirrt. »Ich weiß es nicht genau. Aber was soll das - warum fragen Sie?«
    Der Abbé antwortet nicht, er stürmt zu den Kulissen, als könne er Adrienne noch von der Bühne holen. Doch die Vorstellung ist in vollem Gange, alles läuft bestens und ohne Zwischenfall. Voltaire ist entzückt: Mademoiselle Lecouvreur spielt nicht nur ›seine Jocaste‹, sondern sie verkörpert sie mit Leib und Seele. Das Publikum ist völlig in ihrem Bann.
    Erleichtert begleitet Marie die Schauspielerin nach dem letzten Vorhang und stürmischem Beifall in ihre Garderobe, um sie von Schminke und Kostüm zu befreien. Der Abbé Bourret ist wie ein Phantom aus dem Theater verschwunden. Adriennes Augen glänzen, ihre Wangen glühen in feurigem Rot. »Was hast du?«, fragt sie, als Maries Hände zittern, die mit heißen Tüchern die dicke Schicht Puder und Schminke auf ihrem Gesicht entfernt. »Beeil dich! Moritz erwartet mich. Ich bin so glücklich! Wir werden zu Hause soupieren, nur wir beide.« Marie zögert, der Kamm, mit dem sie Adriennes Haar ordnet, fällt zu Boden. Sie wagt es nicht, vom merkwürdigen Benehmen des Abbé zu sprechen. Es klopft.
    »Moritz!« Die Schauspielerin springt mit einem seligen Lächeln auf, das jedoch so plötzlich erlischt, wie es gekommen ist. Sie erblasst mitten in der Bewegung, krümmt sich mit verzerrtem Gesicht und presst die Hand auf den Bauch. Marie stützt sie, ihr wird heiß und kalt.
    »Geht es Ihnen nicht gut?«, ruft sie aus, doch Adrienne presst die Lippen zusammen und schüttelt gebieterisch den Kopf.
    »Es ist wieder einer meiner Anfälle. Es wird gleich besser werden. Ich hatte sie in letzter Zeit häufiger.« Die Tür öffnet sich einen Spalt, es ist nur der Diener des Marschalls von Sachsen, der ausrichten lässt, dass die Kutsche wartet. »Nur noch... noch ein paar

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