Bitterer Nachgeschmack - Anthologie
unliebsame Rivalin sieht. »Ihr Spiel war ... bemerkenswert«, fährt sie fort, »wenngleich ich mir an einigen Stellen etwas mehr Ausdruck gewünscht hätte. Aber ich bin sicher, Sie lernen noch dazu!«
Ohne dass Adrienne auf diese herablassenden Worte etwas erwidern kann, wendet sie sich mit einem aufgesetzten Lächeln ab. »Komm, Moritz«, stößt sie ungeduldig hervor, »man wartet bereits mit dem Souper auf uns!«
»Ich muss Sie unbedingt wiedersehen«, flüstert der Marschall Adrienne leise zu, während der Diener ihm schon den Schlag aufhält. Nicht ohne ihr noch einen leidenschaftlichen Blick zugeworfen zu haben, steigt er in die Kutsche zurück.
Adrienne fühlt ihr Herz in raschen, unregelmäßigen Schlägen pochen. ›Ich muss Sie unbedingt wiedersehen, die warme, verführerische Stimme des Marschalls klingt noch an ihrem Ohr und sie fühlt seinen Blick wie eine zärtliche und aufwühlende Berührung. Ihr ist, als habe sie ihr Leben lang nur auf einen Mann wie ihn gewartet! Sie ist verliebt, von einem Moment auf den anderen! Die Erzählungen vom ›Coup de Foudre‹, dem Blitzschlag der Liebe, waren ihr immer lächerlich erschienen - doch jetzt hatte er sie ganz ohne Vorwarnung getroffen! Auf dem Heimweg in der Mietdroschke bleibt sie ungewöhnlich stumm, während Marie unentwegt plappert. »Monsieur Voltaire ist im Lande. Er hofft auf ein kleines Souper, um mit Ihnen sein neues Stück zu besprechen.«
»Unmöglich, Marie, nicht heute Abend! Ich bin einfach nur müde!« Adriennes verträumter Blick geht durch das Fenster. Sie sieht das Gesicht des Marschalls vor sich, seine sprechenden Augen, die weiße Strähne über der Stirn in seinen nach hinten gekämmten kastanienbraunen Locken.
Beim Frühstück am nächsten Morgen findet sie eine rote Rose und ein Billet von ihm neben ihrer Kaffeetasse.
›Mademoiselle! Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen, weil ich nur Ihr Spiel vor Augen hatte, Ihr Bild sah, Ihre Stimme hörte. Ich möchte mich Ihnen zu Füßen werfen, Ihnen gestehen, dass ich Sie bewundere, ja, dass ich Sie unaussprechlich liebe! Ich brenne vor Ungeduld, Ihnen meine Aufwartung machen zu dürfen.‹
Adrienne drückt das leidenschaftliche, eilig dahingeschriebene Briefchen an ihr Herz, bevor sie ihm mit nur einem einzigen Satz antwortet: ›Monsieur! Sie gehören der Herzogin - und ich dem Theater!‹
An den folgenden Abenden versäumt der Marschall von Sachsen keine Vorstellung in der Comédie Française. Er ist immer allein und ein verschwenderischer Strauß roter Rosen fliegt jedes Mal vor die Füße der Schauspielerin.
»Ich liebe, rasend, über alles Maß. Der eitle Schmuck, die Perlen sind mir nur zur Last ...« Die Worte der Phädra, die Adrienne in ihrer Rolle auf der Bühne spricht, haben nun eine ganz besondere Bedeutung für sie. Sie richtet sie an die Loge des Marschalls, der sie während der ganzen Aufführung nicht aus den Augen lässt.
Nach Tagen vergeblichen Widerstandes, in denen sie ausweicht, vorgibt, Moritz von Sachsen nicht empfangen zu können, steht er plötzlich am Bühnenausgang und schließt sie ohne viele Worte in seine Arme. Adrienne ist überglücklich - sie ahnt noch nichts von den dunklen Wolken, die sich bereits über ihr zusammenballen.
Als die Herzogin von der Untreue ihres Geliebten erfährt, kocht sie vor Wut. Ihr Beichtvater Abbé Bourret, der wie jeden Freitagnachmittag zur gewohnten Zeit zwecks religiöser Übungen im Palais Bouillon erscheint, bleibt diesmal wie angewurzelt auf der Schwelle stehen. Ein durchdringendes und anhaltendes Kreischen, das aus dem Salon dringt, fährt ihm durch alle Glieder. Vorsichtig, das Schlimmste befürchtend, öffnet der rundliche Priester schließlich die Tür. Er kann gerade noch rechtzeitig einer kostbaren Vase ausweichen, die neben ihm zerschellt. Sein Beichtkind, die Herzogin, fegt in Rage das Silberzeug vom Kaminsims, rauft sich die Haare und schreit wie eine Tobsüchtige. Frisch gedruckte Flugblattexemplare eines Pariser Karikaturisten liegen auf dem Boden verstreut. Dick aufgetragen ist darauf die Herzogin als hässliche Alte gezeichnet, wie sie den Marschall von Sachsen auf Knien anfleht, bei ihr zu bleiben, während die schöne Adrienne Lecouvreur auf der Bühne triumphierend die Arme nach ihm ausstreckt. Wie eine Rasende stürzt die Herzogin auf ihn zu, stößt ihn kreischend zur Seite, reißt ihm das Papier aus der Hand und trampelt wie wild darauf herum. Der Abbé flüchtet vor Schreck totenbleich
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