Bitterer Nachgeschmack - Anthologie
Gersdorf sogleich die Hand zu schütteln und ihn an der Moldau willkommen zu heißen. Er scheuchte die gestreifte Katze weg, die es sich auf seinem Besucherstuhl bequem gemacht hatte, und bat seinen Gast, Platz zu nehmen.
»Ich bin sehr bekümmert über das Unglück, das meinen lieben Freund, den Apotheker Taborius, getroffen hat, Herr Kollege«, sagte der Physikus, nachdem Gersdorf ihm erklärt hatte, was ihn zu ihm führte. »Wirklich, ich bedaure ihn von Herzen. Aber als Kollege wissen Sie, dass unserer ärztlichen Kunst Grenzen gesetzt sind.«
»Noch bin ich kein fertiger Arzt«, wehrte Gersdorf bescheiden ab. »Mir fehlt noch das Rigorosum.«
»Welches ein so aufmerksamer, netter Bursche wie Sie mit Leichtigkeit schaffen wird.« Posener grinste, während er sich beinahe unterwürfig verbeugte. Gersdorf fragte sich, ob er betrunken war. »Ich hatte die Ehre, Ihren Onkel kennenzulernen, als er hier war, um unsere Fürstin zu untersuchen.«
Der Arzt stand auf, wankte zu seinem Pult und begann, in einem Berg von Papieren zu wühlen. »Leider gibt es wie im Falle der Fürstin auch im Krankheitsverlauf Taborius nur wenig, was ich Ihnen sagen kann. Ich stehe vor einem Rätsel. Die Frau und ihr Sohn waren gesund und von einigermaßen guter Kondition. Sie fuhren regelmäßig aus und besuchten die heißen Quellen in Karlsbad. Der Junge natürlich nicht, nur die Frau. An ihrer Verdauung gab es nichts auszusetzen, wobei ich Madame riet, bei gesottenem Fleisch Zurückhaltung zu üben. Ihr Tod kam für uns überraschend. Aber der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen. Wer sind wir, dass wir Seinen ewigen Ratschluss anzweifeln dürfen?«
»Ist das alles, was Sie als Arzt dazu zu sagen haben?«, stieß Gersdorf hervor. »Dass der Tod dieser Menschen für Sie ein Rätsel oder gottgewollt ist?«
Dr. Posener kniff die Augen zusammen und musterte Gersdorf beleidigt. Wortlos holte er ein in speckiges Leder gebundenes Buch aus der Lade seines Pultes und reichte es Gersdorf. Es war das Journal, ein Krankenbuch, das jeder Stadt- und Kreisphysikus auf allerhöchste Anordnung der jungen Kaiserin Maria Theresia führen musste. In diesem Buch machte der Arzt Angaben über Ursachen und Verlauf einer Krankheit und verzeichnete die Behandlung und Medikation, die er für richtig hielt. Auch besondere Auffälligkeiten vertraute er dem Journal an.
»Bevor Sie sich eine Meinung über uns Ärzte in Böhmen bilden, sollten Sie sich anschauen, was ich beobachtet habe, als ich den Leichnam der Apothekerfrau und ihres Sohnes untersuchte.«
Gersdorf blätterte, bis er auf die betreffende Eintragung im Krankenbuch stieß. Er wunderte sich ein wenig, dass Posener das Journal freiwillig herausrückte, denn nach geltendem Recht war alles, was hier geschrieben stand, streng vertraulich und durfte nur auf Anordnung des Rates eingesehen werden. Doch Posener schienen derartige Auflagen egal zu sein. Aufmerksam las Gersdorf, was der Physikus zu Papier gebracht hatte, während dieser seinen Diener anwies, ihn während der nächsten Stunde nicht zu stören. Eine Weile war im Behandlungszimmer außer dem Schnurren der Katze und dem Ticken der Standuhr nichts zu hören. Posener schenkte sich ein Glas Branntwein ein.
Nach der Lektüre hob Gersdorf den Kopf und atmete geräuschvoll aus. Er war blass geworden; in seinem Kopf schwirrten die Gedanken umher wie kleine Mücken an einem lauen Sommerabend.
»Winzige, blutunterlaufene Male?«, brachte er hervor. »Einstiche? Bisse? Ich bin mir nicht sicher, ob ich verstehe, worauf Sie hier anspielen.« Er klappte das Buch zu.
Der Physikus nickte. »Ich hätte das meinem Freund Taborius gerne erspart, zumal das unwissende Volk auf der Gasse nur darauf wartet, ihm und seiner Nichte Maria daraus einen Strick zu drehen.« Er nahm einen Schluck aus seinem Glas. »Aber es ist eine Tatsache, dass die Frau des Apothekers und der junge Herr Ignaz beide kleine Bisswunden am Körper hatten und dass sie an einer unerklärlichen Krankheit starben. Dies geschah nicht lange nach der Beisetzung der Fürstin von Schwarzenberg und dem Tod des sonderbaren Fremden.«
Gersdorf horchte auf. »Ein sonderbarer Fremder?«
Posener zupfte an seiner Perücke herum, bis sie wie ein Vogelnest aussah. Er schien nicht so recht mit der Sprache herausrücken zu wollen, sah aber ein, dass er sich nicht mehr aus der Affäre ziehen konnte. Daher begann er zu erzählen, was er erlebt hatte, nachdem ihn eines Abends kurz nach dem Tod der
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