Bitterer Nachgeschmack - Anthologie
diese jedoch nicht im Geringsten verängstigt. Sie schob dem alten Mann ein Kissen hinter den Kopf, dann läutete sie nach der Magd.
»Eva ist die einzige von den Dienstboten, die bei uns geblieben ist«, erklärte sie beiläufig. »Alle anderen haben schleunigst das Weite gesucht, nachdem auch mein Vetter Ignaz tot im Bett gefunden wurde. Abgesehen von der alten Köchin, Evas Mutter, die an einer Lungenentzündung starb, bevor wir nach Wien aufbrachen. Ich nehme an, du willst dennoch hierbleiben?«
Gersdorf nickte. Was für eine Frage, natürlich würde er bleiben. So lange, bis er Maria überzeugt hatte, ihn nach Hause zu begleiten.
»Eigentlich schickt es sich nicht, dich hier im Haus zu beherbergen, wo wir doch nur verlobt, aber noch nicht verheiratet sind. Aber unter diesen Umständen schert mich das Gerede der Nachbarschaft herzlich wenig.« Maria lachte bitter. »Die sollen sich gefälligst um ihren eigenen Mist kümmern.«
»Das ist meine Maria«, sagte Gersdorf, obwohl er fand, dass diese Gleichgültigkeit gar nicht zu ihr passte.
»Eva wird dir zeigen, wo du schlafen kannst. Sie wird dir auch noch etwas Brot und Pökelfleisch zur Stärkung servieren.«
Gersdorf folgte der hübschen Magd die steile Treppe hinauf und zwang sich, nicht zu auffällig auf ihr wippendes Hinterteil zu starren. Das Mädchen mochte in Marias Alter sein, war aber kleiner und nicht so dünn wie seine Herrin. Ertappt errötete Gersdorf, als sie sich unversehens umblickte und er ihre Augen im Licht der Kerze aufblitzen sah. Im Gegensatz zu Maria, die ihm heute Abend kühl, beinahe abweisend vorgekommen war, strotzte Eva vor Sinnlichkeit. Gersdorf schämte sich für seine Gedanken, konnte aber nicht umhin sich vorzustellen, wie es wohl wäre, wenn sie sich später in seine Kammer schleichen und vor dem Bett Rock, Hemd und Mieder abstreifen würde. Wie es sich wohl anfühlte, ihre straffen Brüste zu berühren? Ihren warmen Körper unter sich zu spüren? Las sie seine unzüchtigen Gedanken? Herr im Himmel, hatte sie ihm eben zugezwinkert oder war er einfach übermüdet von der langen Reise?
»Obacht, gnädiger Herr, stolpern Sie bloß nicht«, hörte er Evas Warnung, bevor sie ihm den Rücken zuwandte und die letzte Stufe nahm. Bei ihr blieb die Treppe stumm, unter seinem Schritt knarrte das Holz indes voller Empörung auf.
»Ich hörte, du hast auch einen Verlust erlitten?«, fragte Gersdorf mit belegter Stimme.
»Anders als die Herrin war meine Mutter aber schon lange krank. Das Lungenfieber, Sie verstehen? Nun ist sie erlöst.«
Früh am nächsten Morgen klopfte jemand aufgeregt an die Tür seiner Kammer. Gersdorf, der schon seit dem Morgengrauen wach war, sprang sogleich aus dem Bett und warf sich seinen Umhang über die Schultern. Auf dem Flur stand Maria, bleich, zitternd und ungekämmt, aber bereits angekleidet. Wie am Abend zuvor trug sie Schwarz. Ihr Gesicht war von Tränen überströmt. Die Zurückhaltung, die sie bei seiner Ankunft an den Tag gelegt hatte, schwand dahin, als sie sich schluchzend in Gersdorfs Arme warf.
»Großer Gott, was ist passiert?«, fragte der junge Mann überrumpelt. Er machte sich auf weitere Hiobsbotschaften gefasst. Maria hatte doch wohl hoffentlich nicht erfahren, dass er Eva hinterhergegafft hatte?
»Onkel geht es nicht gut. Komm bitte rasch mit mir nach unten!«
Gersdorf verschwendete keine Zeit damit, sich anzukleiden, sondern schlüpfte nur in seine Schuhe und schnappte sich die Tasche mit seinem Ärztebesteck, die er unter das Bett geschoben hatte. Sie war aus feinstem Kalbsleder gearbeitet, ein Geschenk seines Onkels, und eigentlich hätte er sie erst nach seinem Rigorosum bekommen sollen. Aber der ehemalige Kaiserliche Leibarzt war von Natur aus ein ebenso ungeduldiger Mensch wie Gersdorf und hatte seinen Neffen mit Aufmerksamkeiten dieser Art anspornen wollen, sein Studium rascher zu beenden.
In der Schlafkammer des Apothekers schlug Gersdorf ein Geruch entgegen, den er von seinen Besuchen im Wiener Spital kannte. Es war heiß und stickig; verbrauchte Luft mischte sich mit dem charakteristischen, scharfen Geruch von Baldrianextrakt, Kampfer, Urin und Schweiß. Gersdorf konnte verstehen, dass Maria es mit der Angst bekam, bot doch der Apotheker, der schwer atmend zwischen den zerwühlten Decken und Kissen lag, einen besorgniserregenden Anblick. Nach einer ersten Untersuchung des Erkrankten konnte Gersdorf jedoch nur feststellen, dass Taborius hohes Fieber hatte und unter rasenden
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