Bitterer Nachgeschmack - Anthologie
Kopfschmerzen litt. Darauf, was den Anfall ausgelöst haben konnte, wollte er sich indessen noch nicht festlegen. Er schickte Eva, die mit großen Augen neben der Tür des Schlafgemachs stehen geblieben war, hinunter in die Apotheke und beauftragte sie, Cortex Chinae, Pulver der Chinabaumrinde, und einen Extrakt aus Birkenrinde zu holen. Aus Letzterem sollte sie einen fiebersenkenden Tee kochen.
»Wir müssen das Fieber drücken, indem wir deinem Herrn kalte Tücher um die Beine wickeln«, rief er Eva nach, die sich sogleich auf den Weg ins Erdgeschoss machte.
»Willst du ihn denn gar nicht zur Ader lassen?«, fragte Maria erstaunt. »Stadtphysikus Posener macht das immer, wenn einer seiner Patienten sich unwohl fühlt.«
Das hatte Gersdorf erwartet. Er hielt indes nicht viel vom Aderlass, hatte seinen Onkel und einige seiner Lehrer in Wien schon sagen hören, dass die Prozedur den Kranken kränker machte, weil sie seinen Körper eher schwächte, als die schlechten Säfte aus ihm herauszuziehen. Statt Taborius Blut abzuzapfen, bat er Maria, alle Fenster des Schlafgemachs zu öffnen. Die Herbstluft war kühl, aber auch frisch und das einzig richtige Mittel, um den drückenden Gestank aus der Krankenstube zu treiben. Gehorsam kam Maria seiner Bitte nach. Anschließend setzten sie sich ans Bett des Apothekers, der in einen unruhigen, aber tiefen Schlaf gefallen war. Den ganzen Vormittag über wechselte Maria gewissenhaft die Umschläge auf seiner schweißnassen Stirn und achtete darauf, dass Eva auch die Binden um seine Waden regelmäßig in kaltes Brunnenwasser tauchte, bevor sie sie erneuerte.
»Legen Sie sich doch ein wenig hin, Jungfer«, sagte Eva, als sie zwei Stunden später ihren Kopf in das Zimmer steckte. Es war schon fast Mittag und durch die Tür drang ein köstlicher Bratenduft in die Stube. Die junge Magd, die nach dem Tod der Köchin auch die Speisen zubereitete, schien die Einzige im Haus zu sein, die keinen besonders überforderten Eindruck machte. Auf sie war Verlass. Maria stand auf und ließ den Kopf kreisen. »Onkel schläft tief und fest«, stellte sie einigermaßen beruhigt fest. »Ins Bett legen kann ich mich nicht. Ich würde gewiss kein Auge zutun. Aber ich werde zur Kirche gehen, um für die Tante und meinen Vetter eine Seelenmesse zu bestellen. Danach hole ich Valentin von der Lateinschule ab. Er soll heute nicht allein nach Hause gehen müssen.«
Gersdorf hätte Maria gern zur Kirche begleitet, aber da sie sein Angebot ablehnte, beschloss er, während ihrer Abwesenheit den Stadtphysikus von Krumau, einen gewissen Dr. Benedictus Posener, in seiner Praxis aufzusuchen. Es gab da ein paar Fragen, die nur Posener ihm beantworten konnte. Eva versprach, einstweilen am Bett des Kranken zu wachen und ihm seine Medizin einzuflößen.
Gersdorf verließ das Haus durch die angrenzende Offizin der Apotheke, in der ein maulfauler und wenig verlässlich wirkender Geselle die Stellung hielt. Der Bursche stand vor einer Rezeptur und schnitt Grimassen, weil er die Zusammensetzung des Arzneimittels nicht entziffern konnte. Gersdorf blickte sich prüfend um. Schon als Kind hatte er sich gern in Apotheken aufgehalten, und diese mit ihren herrlichen Schränken, den Tiegeln und Mörsern aus Porzellan und dem Duft von hundert würzigen Heilkräutern beeindruckte ihn besonders. Zufrieden stellte er fest, dass sämtliche Waagen und Geräte vorschriftsmäßig vorhanden und gepflegt waren. Er zollte Maria seine Achtung dafür, denn offensichtlich war sie es, die hier nach dem Rechten sah. Rasch ließ er sich erklären, wie er zum Haus des Physikus kam.
Eine halbe Stunde später wurde er von einem Diener ins Behandlungszimmer des Arztes gelassen, der ihn mit überraschtem Gesichtsausdruck empfing. Benedictus Posener war ein unscheinbarer, dünner Mann, der die besten Jahre bereits hinter sich gelassen hatte. Er wirkte auch reichlich ungepflegt. Über einem Paar geflickter Kniehosen trug er eine schlecht sitzende braune Samtweste mit aufgesticktem Rosenmuster, der drei Knöpfe fehlten. Seine zerrupfte Perücke, die nicht mehr der Mode entsprach, war so grau wie sein Gesicht. Den einzigen Farbtupfer im Gesamtbild verdankte er seiner dicken, rot geschwollenen Nase, die verriet, dass er entweder unter einem lästigen Schnupfen litt oder in der Schenke regelmäßig zu tief ins Glas schaute. Mit seinem Bruder, dem Priester, hatte der Stadtphysikus von Krumau gar keine Ähnlichkeit. Allerdings war Posener höflich genug,
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