Bitterer Nachgeschmack - Anthologie
hüpfte vor Freude darüber, dass sie es nicht abgelegt hatte. Das bedeutete doch, dass sie sich nicht wirklich von ihm trennen wollte. Er hoffte das jedenfalls.
»Eva hat mir gesagt, dass du mit der Kutsche gekommen bist, aber ich musste mich selbst davon überzeugen«, sagte Maria mit ruhiger Stimme. Sie schenkte Gersdorf sogar ein schwaches Lächeln, bevor sie ihren Onkel mit einem energischen Blick aufforderte, seinen Platz am Kaminfeuer wieder einzunehmen. Gersdorf zweifelte nicht daran, dass Maria dem alten Mann in den ersten Tagen nach dem Tod seiner Frau eine große Hilfe gewesen war, fragte sich jedoch, woher sie, die er in Wien eher schüchtern und zurückhaltend erlebt hatte, diese erstaunliche Haltung nahm. Er hatte erwartet, sie am Boden zerstört vorzufinden, aber das war sie nicht.
»Natürlich bin ich gekommen«, erklärte er nun. »Wie konntest du daran zweifeln? Gleich nachdem der Postillion mir deinen Brief überbracht hat, habe ich mich in die Kutsche gesetzt. Mein Onkel war dagegen, weil doch in Kürze meine Examina anstehen. Aber das konnte mich nicht davon abhalten, zu dir nach Böhmen zu reisen.« Er nahm seinen ganzen Mut zusammen, machte ein paar Schritte auf Maria zu und nahm ihre Hand. Sie war trotz der Hitze im Salon eiskalt. »Ich möchte, dass du mit mir nach Wien kommst, Liebste«, sagte er, nachdem er einen Kuss auf ihre schmalen Finger gehaucht hatte. »Du gehörst zu mir!«
Maria zog ihre Hand zurück. »Das geht nicht.«
»Und warum nicht?«
»Weil ich nicht einfach von hier verschwinden und meine Verwandten allein lassen kann«, erklärte Maria. »Onkel Carl und der kleine Valentin brauchen mich doch. Die Apotheke ..., wenn sich niemand darum kümmert, wirtschaftet der Geselle sie in den Ruin. Die verstorbene Fürstin von Schwarzenberg hat während ihrer langen Krankheit Dutzende von Arzneien bestellt, die wir ihr hinauf ins Schloss lieferten. Einige Zutaten waren so selten, dass sie aus dem Ausland bezogen werden mussten. Aber nachdem der Herr sie von ihren Leiden erlöste, blieben wir auf unseren Rechnungen sitzen. Ich bin dabei, die Arznei- und Auftragsbücher zu kontrollieren und treibe Schulden bei Patienten ein. Jemand muss das ja tun.«
Gersdorf verzog nachdenklich das Gesicht. Von dem langen Siechtum der Fürstin hatte ihm sein Onkel in Wien erzählt. Der Leibarzt des Kaisers hatte sie einige Male auf Schloss Krumau besucht, um sie zur Ader zu lassen, ihr pulverisierte Krebsaugen zu verabreichen und ihren geschwollenen Leib abzutasten, ohne ihr jedoch Linderung ihrer Beschwerden zu verschaffen. Vor wenigen Monaten war die Fürstin Schwarzenberg in Wien verstorben. Sie hatte jedoch verfügen lassen, dass ihr Leichnam umgehend zurück an die Moldau gebracht und in Krumau beigesetzt werden sollte.
»Damals sah ich es als große Ehre an, der Fürstin als Hofapotheker zu dienen«, bemerkte Taborius resigniert. »Nun ernten wir, was wir gesät haben.«
»Onkel, bitte sei still!«
»Warum soll ich schweigen? Was weißt du denn, du dummes Kind? Hast du dir einmal überlegt, was aus uns werden soll, wenn unsere Nachbarn recht haben mit ihren Anklagen? Wenn die Fürstin durch die Substanzen, die ich ihr ins Schloss lieferte, zu einer ... einer ... ach, was weiß ich wurde ? Wenn sie aus ihrem Grab in der St.-Nepomuk-Kapelle gestiegen ist und es deine Tante und Ignaz büßen ließ, weil meine Arzneien bei ihr versagten?«
»Onkel, du hast Fieber!«, rief Maria erbost.
Gersdorf stieß die Luft aus. Der Mann am Kamin kämpfte offensichtlich mit einem Nervenleiden. Davon verstand er nur wenig, hatte keinerlei Erfahrung mit den Torheiten eines verwirrten Geistes. Wenn doch sein Onkel hier gewesen wäre. »Aber Sie waren doch immer ein Mann der Wissenschaft«, war alles, was ihm dazu einfiel. Und dafür wurde er sogleich von Maria mit Blicken gerügt.
Taborius ignorierte Gersdorf, wandte sich aber mit beschwörender Miene seiner Nichte zu. »Noch ist es nur ein Verdacht gegen dich, der um die Häuser schleicht«, sagte er. »Aber wenn sogar geistliche Herren wie die Priester der Pfarre von Corpus Christi in das Geschrei mit einstimmen, wird man glauben, du habest wirklich etwas mit dem Tod deiner Tante und deines Vetters zu tun.«
»Das habe ich aber nicht. Ich kann nichts dafür, wenn mir die Leute misstrauen!«
Nun hatte Gersdorf genug gehört. Der Kummer eines am Boden zerstörten Witwers rechtfertigte nicht, seine Braut zu verunsichern. Zu seiner Verwunderung wirkte
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