Bitterer Nachgeschmack - Anthologie
Gesicht, gleichzeitig wuchs seine Wut auf den pflichtvergessenen Arzt. Warum hatte Posener die Familie des Apothekers nicht darüber aufgeklärt, dass ein fremder Reisender auf ganz ähnliche Weise zu Tode gekommen war wie Frau Taborius und ihr Sohn? Er nahm sich vor, dem Burschen bei nächster Gelegenheit kräftig ins Gewissen zu reden. Branntweinrausch hin oder her, hier ging es um die Zukunft seiner Verlobten.
Auf dem Heimweg war Maria auffallend wortkarg, wie es aussah, dachte sie über das nach, was ihr Gersdorf von seinem Besuch in der Praxis des Physikus berichtet hatte. Das Mädchen hatte sich die Kapuze seines pelzverbrämten Umhangs tief in die Stirn gezogen, aber Gersdorf ahnte, dass Maria ihre Gesichtszüge nicht wegen des harschen Windes verbarg, der die bunt gefärbten Blätter über das schmutzige Pflaster trieb, sondern wegen der Blicke der Fußgänger, Reiter und Fuhrknechte, die ihren Weg kreuzten. Einige Male glaubte Gersdorf, Pfiffe und abfälliges Gemurmel zu hören, ging aber weiter, ohne sich umzudrehen. Als die schmiedeeiserne Wetterfahne auf dem Apothekendach vor ihnen auftauchte, atmete er befreit auf. Rasch schob er Maria ins Haus, dann blickte er sich nach allen Seiten um und folgte ihr in den Flur.
Beim Abendessen saßen sich Maria und Gersdorf im Speisezimmer über der Apotheke gegenüber. Eva hatte den silbernen Kandelaber mit roten Wachskerzen bestückt. Der von ihr zubereitete Schweinebraten zerging fast auf der Zunge. Dennoch verspürte keiner der Anwesenden Appetit. An der Mahlzeit nahm auch Marias kleiner Vetter Valentin teil, ein aufgeweckter rothaariger Bursche, der Gersdorf Löcher über den Arztberuf in den Bauch fragte und ihm bei Dessert und Likör das Versprechen abnahm, vor dem Schlafengehen eine Partie Tarock mit ihm zu spielen. Der kleine Junge war zwar verstört und traurig über den Tod seiner Mutter und seines Bruders, bemühte sich aber sehr, tapfer zu sein. Vermutlich hatte ihm irgendjemand eingeflüstert, dass er während der Krankheit seines Vaters der Mann im Hause sei und auf die Frauen zu achten habe. Eine Pflicht, der er sich mit der ganzen Autorität seiner sieben Jahre stellte. Gersdorf nahm sich vor, den Kleinen beim Kartenspiel großmütig gewinnen zu lassen, was aber gar nicht nötig war. Valentin zeigte Ausdauer und Geschicklichkeit und besiegte ihn Spiel für Spiel. Schließlich streckte Gersdorf die Waffen. Er fuhr dem Jungen freundschaftlich durch den feuerroten Schopf und bat Eva, ihn ins Bett zu bringen. Seufzend ergriff Marias Vetter die Hand der Hausmagd und verließ den Salon. An der Tür drehte er sich noch einmal um. »Vater und Maria werden doch nicht auch noch sterben, oder?«, flüsterte er bange.
Gersdorf schüttelte den Kopf. »Niemals, das werden wir beide verhindern.«
»Versprochen?«
»Selbstverständlich. Und nun marsch ins Bett, junger Freund, sonst schimpft dein Lehrer morgen mit dir, weil du zu müde bist!«
»Valentins Herz hast du erobert, der Junge mag dich«, meinte Maria, die sich inzwischen mit einer Stickarbeit an den Kamin gesetzt hatte. Das Feuer warf Schattenbilder auf ihr Kleid. Auf der breiten französischen Chaiselongue hätte sie es zweifellos bequemer gehabt, aber Gersdorf begriff, dass sie es nicht über sich brachte, den Stammplatz ihres Onkels und ihrer verstorbenen Tante einzunehmen. Er selbst wagte es auch nicht. Er nahm mit einem zierlichen Gobelinstuhl vorlieb, den er nahe an Marias Sessel schob. Taborius' Zustand war unverändert bedenklich. Das Fieber war zwar dank der Arzneien und kalten "Wickel nicht gestiegen, aber auch kaum gesunken. Es blieb nichts anderes übrig, als den Verlauf der Nacht abzuwarten, da die Krisis einer Krankheit für gewöhnlich in den späten Stunden auftrat.
»Ich wäre glücklich, wenn ich auch dein Herz erobern könnte«, sagte Gersdorf.
Maria schaute ihn verwundert an. »Aber das hast du doch längst. Ich denke jeden Tag daran, wie glücklich wir in Wien waren. Bevor diese scheußliche Sache begann.«
Die ernsten Worte der jungen Frau holten Gersdorf mit einem Schlag in die Wirklichkeit zurück. Er dachte an Poseners Krankenjournal und die sonderbaren Andeutungen des Priesters auf der Reise. An den Fremden, der tot im Hof des Gasthauses zusammengebrochen war, und an die alte Fürstin von Schwarzenberg, mit der Carl Gottlieb Taborius Geschäfte gemacht hatte. Maria lehnte ihren Kopf an seine Schulter, woraufhin er sein Herz stürmisch klopfen hörte. Wie sehr hatte er sich
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