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Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Titel: Bitterer Nachgeschmack - Anthologie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Senghaas , Iny Lorentz
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Ärzte des Reiches hatten einen erstaunlich hohen Betrag aus der kaiserlichen Schatulle kassiert, nachdem sie der Hofkanzlei ihren Bericht vorgelegt hatten. Für sie galt nun Stillschweigen. Doch das war üblich in den höheren Kreisen. Als Leibarzt des Kaisers kannte Gersdorfs Onkel das Reglement, an das sich jeder halten musste, der nicht in Ungnade fallen wollte. Aber was wurde aus den Toten von Krumau? Nichts in Poseners Journal deutete darauf hin, dass er auch ihre Körper geöffnet hatte, um zu ergründen, woran sie wirklich gestoben waren.
    Kurz entschlossen änderte Gersdorf seine Pläne und lenkte seine Schritte über das holprige Pflaster des Marktplatzes, vorbei an den Kaufläden, Schenken und Werkstätten. Statt zur Apotheke zu gehen, schlug er den Weg zur großen St. Veitskirche ein. Die Menschen, die ihm unterwegs begegneten, erschienen ihm verstört und durcheinander. War der beißende Wind, der ihm Staub und Sand in die Augen trieb, schuld daran, dass die Leute mit wehenden Kleidern ihren Häusern entgegenstrebten, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen? Ihm, dem Fremden, ging man offensichtlich aus dem Weg. Zwei ältere Frauen mit gestärkten Rüschenhauben, die vom Kirchhof kamen, steckten die Köpfe zusammen, als sie ihn sahen. Auf seinen freundlichen Gruß hin verschwanden die Weiber, so rasch sie konnten, in einer düsteren Seitengasse. Nur eine Schankmagd, die am offenen Fenster einer Bierstube stand und ein Kissen ausklopfte, winkte ihm freundlich zu.
    Gersdorf zog seinen Dreispitz tiefer in die Stirn, um sich vor dem eisigen Wind zu schützen, und eilte die Treppe hinauf, die zum Portal des Gotteshauses führte. Er spürte die Spannung, die in der Luft lag und die einer unverhohlenen Feindseligkeit gleichkam, noch bevor er die schwere Eichentür aufstoßen konnte. Erst als sein Blick auf den warmen, samtenen Lichtschein fiel, der von den brennenden Kerzen vor den Heiligenfiguren und aus den Seitenkapellen kam, entspannten sich seine verkrampften Glieder ein wenig. Er atmete auf. Möglicherweise fand er in der Kirche die Antwort auf seine Fragen.
    Statt einer Antwort fand er Maria. Das Mädchen kniete vor der Figur der Heiligen Jungfrau, hatte ihr Gebet aber wohl schon beendet, denn sie drehte sich sogleich um, als sie Gersdorfs Schritte auf dem hallenden Steinboden hörte. Ihre Miene hellte sich auf. Sie lächelte sogar ein wenig, worüber Gersdorf vor Erleichterung das Herz aufging.
    »Ich bin froh, dich hier zu finden«, sagte der junge Mann. »Ich befürchtete schon, dich verpasst zu haben.«
    »Valentin ist nach Hause gegangen, aber ich wollte noch ein wenig hierbleiben. Im Moment fühle ich mich in der Kirche sicherer als daheim oder auf der Straße. Die Leute schauten mich schon wieder so merkwürdig an, als ich über den Marktplatz lief. Es hat sich bereits herumgesprochen, dass mein Onkel krank ist. Ich kann nur hoffen, dass meine Gebete erhört werden und er sich rasch wieder erholt.« Sie wies auf die Figur der Jungfrau, vor der ein Meer von Kerzen im Dämmerlicht flackerte. In diesen Tagen schien Maria nicht die Einzige zu sein, die sich von der Mutter des Herrn Hilfe erbat.
    Gersdorf blickte sich verstohlen im Kirchenschiff um. Es war kalt, er konnte seinen eigenen Atem sehen.
    »Suchst du jemanden?«
    »Ich komme vom Stadtphysikus.« Gersdorf reichte Maria galant die Hand, um ihr beim Aufstehen zu helfen. »Soweit ich weiß, ist sein Bruder Priester in Krumau.«
    »Das ist er«, bestätigte Maria nickend. »Aber nicht in dieser Kirche, sondern in der von Corpus Christi und Mariä Schmerzen.«
    »Da bin ich aber froh, denn ich würde dem guten Mann nur ungern über den Weg laufen. Auf dem Weg in die Stadt ist er mir mit seinem Geschwätz von drohendem Unheil auf die Nerven gegangen. Ich hätte ein paar tröstende Worte gebrauchen können, stattdessen ...« Gersdorf sprach nicht weiter, weil er Maria nicht zusätzlich beunruhigen wollte. Sie glaubte, dass die Kirche auf ihrer Seite stand und sie vor dem Geflüster auf den Gassen beschützte. Dass dem nicht so war, würde sie noch früh genug begreifen.
    »Hast du bei Stadtphysikus Posener etwas herausgefunden?«, wollte das Mädchen wissen. »Uns gegenüber hüllt er sich ja in Schweigen.«
    »Posener flüchtet sich in den Alkohol. Ich denke, dass er mit den drei Todesfällen in der Stadt heillos überfordert ist.«
    Maria hob die Augenbrauen. »Drei Todesfälle? Wer soll denn der dritte sein?«
    Gersdorf machte ein verdutztes

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