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Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Titel: Bitterer Nachgeschmack - Anthologie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Senghaas , Iny Lorentz
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Jetzt! Das war die Gelegenheit zur Flucht. Er versuchte, sich aus dem Sessel zu stemmen, doch seine Beine gaben nach. Er fluchte leise, redete sich zu, sich zusammenzureißen. Er musste fliehen, sonst war er verloren. Noch einmal atmete er tief durch, bündelte all seine Kraft und stemmte sich auf die Armlehnen seines Sessels. Langsam hob sich sein Körper, seine Beine drohten wegzusacken, doch noch hielten sie sein Gewicht. Er würde es nicht bis zur Tür schaffen, musste er sich eingestehen. Sein Blick fiel auf das Telefon. Ein Hoffnungsschimmer durchzuckte ihn. Er ließ sich vornüber auf den Schreibtisch fallen, tastete nach dem Hörer, zog ihn neben seinen Kopf, der seitlich auf dem Schreibtisch lag. Die Sternchentaste und die Sieben, die Kurzwahl seines Kollegen Dr. Hermanns. Er drückte die Tastenkombination, sein Atem ging rasch. Das Klicken, als die Leitung unterbrochen wurde, klang in seinen Ohren wie ein lauter, endgültiger Knall. Er drehte den Kopf ein klein wenig, um nach oben blicken zu können. Frau Berger sah ihn mit kaltem, verächtlichem Gesichtsausdruck an. Ihr Finger ruhte noch immer auf der roten Taste.
    »Ich hatte Ihnen doch gesagt, dass ich es für keine gute Idee halte, wenn Sie jetzt telefonieren.«
    Sie kam um den Schreibtisch herum, zog seinen Körper von der Schreibtischplatte und ließ ihn unsanft in den Sessel zurückfallen. Sofort ordnete sie die Gegenstände, die er verschoben hatte. »Nun sehen Sie sich diese Unordnung an.« Es klang, als redete sie mit einem ungezogenen Kind.
    Seine Hoffnung schwand. Wie viel Zeit würde ihm noch bleiben?
    »Ich würde Ihnen jetzt wirklich gern aufzeigen, dass Ihr Tod nicht sinnlos ist«, sagte sie in tadelndem Tonfall und nahm wieder auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch Platz. »Wir haben schließlich nicht mehr alle Zeit der Welt, nicht wahr?«
    Sie breitete einige Unterlagen vor ihm aus. »Wissen Sie eigentlich, was für ein Segen ein Spender mit Blutgruppe AB positiv ist?« Sie ließ ein helles Lachen erklingen. »Sie ahnen ja nicht, wie viel Gutes Sie tun werden, Herr Professor Perl.« Sie deutete mit dem Finger auf das Foto eines Jungen. »Das ist Mark und er wird bald glücklicher Besitzer einer Ihrer Nieren sein.«
    Sein Puls beschleunigte sich noch mehr, seine Atmung wurde flacher. Er wollte schreien, sich wehren. Es musste doch etwas geben, was ihn retten würde.
    Frau Berger plauderte weiter auf ihn ein, wie bei einem Kaffeekränzchen. »Und hier möchte ich Ihnen die kleine Lisa vorstellen, die Ihre zweite Niere erhält. Sie kann wirklich von Glück sagen, dass noch heute der große Tag sein wird. Ihr Körper wäre nämlich nicht in der Lage, die Dialyse noch lange durchzuhalten.« Sie blätterte in ihren Unterlagen. »Und dieser Zwölfjährige heißt Ahmet und er braucht ganz dringend eine neue Leber. Ist es nicht schön, dass Sie über Ihren Tod hinaus ein Zeichen setzen, dass diese Klinik völlig frei von Rassismus ist?« Sie strahlte ihn an, als hätte sie ihm soeben ein Weihnachtsgeschenk überreicht. »Und nun komme ich zu etwas ganz Besonderem. Ich glaube, unter anderen Umständen wären Sie regelrecht stolz auf mich, weil ich ganze Arbeit geleistet habe.« Sie legte ein Foto vor ihn hin. »Ihre großzügige Knochenmarkspende wird Bettina ermöglichen, endlich ihre Leukämie zu besiegen. Sie ist alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. Wenn man es also genau nimmt, verhelfen Sie allein mit dieser Spende auf einen Schlag drei Menschen zu einem neuen Leben. Ist das nicht wundervoll?«
    Er versuchte, ihrem Blick standzuhalten, doch seine Augenlider schienen ihm nicht gehorchen zu wollen. Immer wieder wurde ihm schwindlig. Er war kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren.
    »Warum?«, war das Einzige, was er krächzend hervorbrachte.
    Ihr Blick, eben noch freundlich, versteinerte sich. Sie blickte auf die Uhr.
    »Das trauen Sie sich wirklich noch zu fragen?« Sie sammelte rasch die Fotos und Unterlagen wieder ein und verstaute sie in der Mappe. »Können Sie sich eigentlich mein Entsetzen vorstellen, als ich dahinterkam, dass Ihre groß angelegte Werbekampagne zur Organspende nichts weiter als ein Mittel war, sich Ihre eigenen Taschen zu füllen? Oh ja, ich weiß, wie viel Sie damit verdient haben. Ihr Konto auf den Cayman Islands ist mir nicht verborgen geblieben. Ich hatte zu Ihnen aufgesehen, Sie bewundert. Doch was musste ich feststellen? Dass Sie nichts als ein heuchlerischer, geldgeiler, machtbesessener Krimineller mit der

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