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Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Titel: Bitterer Nachgeschmack - Anthologie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Senghaas , Iny Lorentz
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gerichtet auf das, was sie erwartete. Sie war stark. Ihr Körper würde Schonas und sein Kind gut nähren. Er beugte sich über sie, sie lächelte im Traum.
    Gut. Er hatte dafür gesorgt, dass sie bis zur Geburt nicht mehr erwachte. Sie würde nicht leiden, wenn sein Kind wuchs, würde sanft in den Tod hinübergleiten, wenn er ihren Leib aufschnitt. Jeder junge Mann seiner Rasse musste lernen, wie das ging, sobald er den Stimmbruch erreicht hatte. Es sei wichtig für einen Vater, sein Kind selbst auf die Welt zu holen, sagten die Weisen. Denn das stärke die Verbindung auf eine besondere Weise.
    Bis ihre Zeit kam, war er da, um Rianna zu behüten und zu nähren. Er hatte auch genügend Vorräte für sich selbst in die Erdhöhle gebracht, Pillen und Nahrungskonzentrat, von dem schon wenige Tropfen reichten, um ihn zu sättigen.
    Neun Monate lang. Dann würde er sein Kind in den Arm nehmen und sich einen Ort suchen, wo er von niemandem gefunden werden konnte. Bis dahin war er hier sicher. Es gab besondere Urlaubsregelungen. Werdende Väter konnten sich freinehmen. Es wurde gern gesehen, wenn sie dabei zuschauen wollten, wie ihr Kind wuchs. Niemand würde nach ihm suchen. Und danach? Er wusste es nicht. Doch er hatte von nun an fast neun Monate Zeit, um einen Plan zu schmieden.
    Mit der Fernbedienung befahl er dem Roboter, sie aufzuheben und sanft in den Transporter zu betten. Selbst wenn er die Kraft dazu gehabt hätte, in dem sperrigen Ganzkörperanzug aus einer Art eigenständig atmender und dadurch kühlender Haut, der seinen empfindlichen Körper inzwischen vor dieser unbarmherzigen Sonne schützte, wäre er viel zu ungelenk dazu gewesen. Seine Rasse tat schon lange nichts mehr selbst, dafür hatten sie Roboter. So waren sie immer schlanker und feingliedriger geworden. Und weil sie ihre Haut wegen der Gefahr von Karzinomen auch bis auf dieses eine Mal, wenn ein Kind eingepflanzt wurde, niemals der Sonne aussetzten, war sie über die Generationen hinweg weiß, durchscheinend und sehr empfindlich geworden. Hätte er sich ohne seine zweite Haut noch länger in der Sonne aufgehalten, er wäre binnen kürzester Zeit verbrannt. Er musste sich beeilen, um noch bei Nacht in die Höhle zu kommen.
    Peters benötigte nur eine Stunde für die Wegstrecke, die Rianna Tage gekostet hatte. Der Transportroboter glitt auf seinem Luftkissen sanft dahin. Er saß neben der Frau, die sein Kind trug, und war glücklich. Er hatte das Richtige getan. Das Richtige für sein Kind. Als der Morgen graute, waren sie an der Höhle angekommen. Er stieg aus dem Transporter und ging zur Höhle, um zu kontrollieren, ob noch alles so war, wie er es eingerichtet hatte.
    »Ah, da seid ihr ja endlich.« Aus der Stimme klang unverhohlene Genugtuung. Peters gefror das Blut in den Adern. Er spähte ins Dämmerlicht der Höhle.
    Weiter hinten konnte er eine schwarze Silhouette ausmachen. »Ja, du hast richtig gehört, ich bin's, geliebter Bruder, komm nur hinein. Du weißt, ich kann dir nichts tun. Aber dafür gibt es andere. Wenn ich mit dir fertig bin.«
    Den Worten folgte ein Schwall von hasserfüllter Energie. So stark, dass er fast zurückgeprallt wäre.
    Peters keuchte, machte auf dem Absatz kehrt, eilte zurück und gab dem Transportroboter den Befehl, das Mädchen neben dem Weißdornbusch zu verstecken. Dann ging er wieder zur Höhle. Naomas! Wie kam er hierher? Naomas, sein Bruder aus dem Labor. Der Bruder, der ihn hasste, weil er selbst ein Naturgeborener war, herangewachsen in einem lebendigen, atmenden, nährenden Leib, während dieser sich mit einem Glas, Leitungen und Nährflüssigkeit hatte zufriedengeben müssen. Der nur geboren worden war, um ihm zu dienen. Ein Ersatzteillager, falls eines seiner Organe versagen sollte. Der Bruder, der ihn nahe an die Unsterblichkeit brachte. Aber nur nahe. Denn irgendwann würde auch Naomas nicht mehr genügend eigene Organe haben, um zu überleben. Bis sein Körper benötigt wurde, war es ihm jedoch erlaubt, sein eigenes Leben zu führen, sich eine Frau seiner Kaste zu nehmen, weitere Laborkinder zu zeugen, die womöglich einmal nützlich werden könnten. Der Bruder, der ihn am liebsten getötet hätte, weil er das wusste. Und der es nicht konnte. Jedem Laborgeborenen wurde eine unüberwindliche Tötungshemmung gegenüber den naturgeborenen Geschwistern implantiert. Sie konnten sie noch nicht einmal angreifen oder auch nur verletzen.
    Er ging in die Höhle. Naomas stand ein Stück vom Eingang entfernt.

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