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Bitteres Blut

Bitteres Blut

Titel: Bitteres Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Voss
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lecken.
    »Gegessen hast du wahrscheinlich auch nichts, oder?«
    In das Rauschen ihres Urins erklang ein trockenes Lachen, das sich wie Husten anhörte.
    »Das muss vor der Pubertät gewesen sein. Oder heute Morgen. Ja, heute Morgen. Eine Banane, glaube ich, ja, eine Banane mit braunen Stellen.«
    Stellen .
    »Wieso nur eine Banane?«
    »Weil die noch in meiner Tasche war.«
    »Ich mach dir schnell ein Spiegelei. Mit Brot und Butter und dazu ’ne Tomate, Pfeffer und Salz. Das hast du doch immer gemocht, oder?«
    »Darf ich mich in die Wanne legen?«
    »Erzählst du mir, was passiert ist?«
    »Dafür, dass ich baden darf?«
    »Unsinn! Weil ich es wissen will, verdammt noch mal! Was ist mit deinem Gesicht passiert? Hattest du einen Unfall? Hat dich jemand geschlagen?«
    »Du solltest erst mal meinen Rücken sehen! Und die Stellen vorne.«
    Stellen ! Ein Wort aus dem Sprachschatz der Mutter: das selbstverständlich gewordene Wort für Faulendes am Obst, das sich als Synonym für Verletzungen in die Hirne ihrer Kinder gebrannt hatte.
    »Darf ich reinkommen?«
    »An mir ist nichts, was du noch nicht gesehen hast.«
    Sie stand in der Wanne, leicht vorgebeugt, die Hände am Duschventil, um die Wärme des aus dem Hahn rauschenden Wassers zu regulieren. Lange, schlanke Beine, ihre dunkle, herzförmige Scham, der angespannte Bauch, aus dem der Nabel wie eine flache Insel hervorragte. Feste, kleine Brüste, der schlanke Hals, durchzogen von blauen Placken und rotblauen Striemen, die sich über die linke Schulter wie Abdrücke einer mehrschwänzigen Peitsche bis auf den Rücken fortsetzten. Das Gesicht eine Landschaft des mühsam niedergehaltenen Schmerzes.
    »Um Himmels willen, Katta, was ist nur passiert?« Er nahm ihre linke Hand, betrachtete die geschwollenen, verkrustetenRisse, die, sich verjüngend, bis zur Armbeuge fortsetzten und dort nach außen abknickten, als hätte sich die Kraft des verletzenden Gegenstandes abrupt erschöpft. »Hattest du einen Unfall?«
    Sie schüttelte den Kopf, stöhnte. »Ich bin geschlagen worden.«
    »Von wem?«
    »Kennst du nicht. Und es ist auch besser, wenn es dabei bleibt.«
    »Nur nichts preisgeben, was?«
    Sie schloss die Augen und schwieg, wie sie es schon als Kind getan hatte, wenn man sie unter Druck gesetzt hatte. Über der Nasenwurzel bildete sich ein strenges V.
    »Warte, ich helfe dir«, sagte er, als sie versuchte, sich in die Wanne zu setzen. Vorsichtig umfasste er ihren Oberkörper und ließ sie hinabgleiten. Ihr Gesicht war dicht vor ihm, das blinzelnde und das schmerzdunkle Auge, ihr heftiger Atem, die Lippen, verbogen wie ineinanderverschlungene Drähte. Ein dünner Faden Blut rann vom Ohr auf ihren Hals. Sie zuckte zusammen, als ihr Rücken die kalte Wanne berührte. Lorinser fächerte ihr Haar zurück und entdeckte unter dem Ohr eine eiförmige, offene Risswunde. Die Quelle des Blutfadens, der bereits die Schulter erreicht hatte.
    »Sieht nach schwerer Körperverletzung aus, Katta.«
    »Für manche ist das ganze Leben eine Körperverletzung.«
    »Das stimmt wohl, aber das hier ist ein Delikt, das man keinem durchgehen lassen sollte. Und ein Arzt sollte dich untersuchen. Ich bringe dich am besten gleich ins Krankenhaus.«
    »Erst duschen, und wenn ich nichts zu essen kriege, kannst du mich gleich auf den Friedhof bringen.« Sie deutete auf ihren Bauch. »Hörst du das Gebrüll?«
    Hörte er nicht. Aber er spürte Wellen des Mitleids und einer tiefen Sorge, die angesichts des Schmerzes, den seine Schwester offensichtlich erduldete, durch seinen Körper brandeten. Am liebsten hätte er den zarten Körper aus der Wanne gehoben und wäre mit ihm die wenigen Hundert Meter zum Krankhaus gelaufen, um ihn dort untersuchen zu lassen. Aber das ging natürlichnicht. Sie würde es nicht zulassen, würde sich sträuben, sich mit allen Kräften wehren und mit Recht darauf bestehen, dass er ihren Willen respektierte.
    Er strich ihr über den Kopf. »Fäuste waren das nicht, oder?«
    »Federball. Ein Schläger. Piffpaff, piffpaff. Ich hab noch versucht, das Ding mit den Händen abzuwehren. Hier«, sagte sie und zeigte ihren rechten Unterarm. »Da sind die Beulen. Darf ich jetzt duschen?«
    »Klar«, sagte er und unterdrückte ein Seufzen. Er nahm zwei frische Handtücher aus dem unter dem Fenster stehenden Regal, stellte ihr Shampoo und flüssige Seife hin und strich ihr wieder über den Kopf. »Fühle dich wie zu Hause. Ich lasse die Tür offen und mache das Essen. Und rufe, wenn du

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