Bitteres Blut
was brauchst.«
Sie versprach es.
4
Entweder hatte Steinbrecher noch tiefer ins Glas geguckt oder seine Kraft bei den Nutten im Klub verausgabt. Zum Dienst erschienen war er jedenfalls nicht. Aber Johannes Hollenberg wartete ergeben auf der Bank im Flur. Er hielt die knorrigen Hände zwischen den Knien, als fürchtete er, die Restwärme seines gebeugten Körpers zu verlieren.
»Kommen Sie gleich mit«, bat Lorinser und führte ihn in sein kleines Büro am Ende des Ganges. KHK Hildebrandt tauchte, einen dünnen Hefter an die schweren Brüste gepresst, wie aus dem Nichts auf, nickte einen knappen Gruß und sagte, ehe sie in ihrem Zimmer verschwand, dass sich Lorinser »bitte kurzfristig« mit ihr »kurzschließen« sollte.
Hollenberg jammerte verhalten über die wertvolle Zeit, die er mit »diesem Tüch bei die Polizei« verschwendete, ging aber überraschend emotionslos und präzise bei der erneuten Schilderung seiner Beobachtungen vor. Nein, weitere Angaben könne er nicht machen und eingefallen sei ihm über Nacht auch nichts mehr zu der Sache. Und gehört, nee, gehört hätte er auch nichts mehr über den jungen Böse. Er kenne zwar so gut wie jeden im Dorf, aber viel reden würde er mit denen ja nicht.
»Wie ich sehe, sind Sie in Hüde geboren, Herr Hollenberg. Richtiges Urkorn der Gegend. Sie müssten doch eigentlich wissen, wem die Stele am Deich gewidmet ist.«
»Das weiß doch jeder.«
»Ich nicht.«
»Dem Alten, dem Doktor.«
»Böse?«
»Karl-Heinrich, ja.«
»Ist das der Vater von Wolfhardt Böse?«
»Das ist korrekt. Der hat ja mit den Erfindungen angefangen, die dann von Hinrich ausgebaut wurden. Dafür haben siedann auch seinen Kopf auf die Säule gestellt. Noch vor dem Hitler.«
»Die Stele befindet sich in einem erbarmungswürdigen Zustand. Haben Sie eine Ahnung, warum? Das kann doch nicht nur am fehlenden Geld liegen, oder?«
Hollenberg machte wie am Vortag wieder die schwerfällige Gans. In seinem hageren Gesicht flackerten widerstreitende Gefühle auf. Sichtbar verlegen war er auch. »Was es damit auf sich hat, da will doch niemand mehr dran erinnert werden.«
»Sie wissen’s also?«
»Man sollte endlich aufhören mit den alten Geschichten. Die Leute sind fast alle tot. Nützen tut das doch keinem mehr! Und mit dem jungen Böse hat das doch erst recht nichts zu tun!«, rief er gequält. Er machte den Anschein, als wehrte er sich gegen eine Beschuldigung. Hatte er seinen Anteil an der Zerstörung? Schämte er sich, den Vandalismus einzugestehen?
»Die Sache mit der Stele kommt nicht ins Protokoll, Herr Hollenberg. Sie haben mein Wort.«
»Warum fragen Sie nicht den alten Böse. War ja sein Vater, für den das Ding aufgestellt wurde.«
»Eine gute Idee«, sagte Lorinser. »Wir sind ja auch durch. Ich warte nur noch auf den Ausdruck. Sie unterschreiben und können nach Hause fahren. – Möchten Sie eine Zigarette?«
Hollenberg beäugte die Packung, als sei darin eine Mine versteckt. Mit beiden Händen wehrte er ab. »Nee, ich hab noch viel zu tun heute. Wo muss ich denn unterschreiben?«
»Wollen Sie Ihre Aussage nicht erst lesen?«
Wollte er nicht. Er unterschrieb und schien überrascht zu sein, dass er tatsächlich gehen konnte. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, zündete sich Lorinser eine Zigarette an und lehnte sich zurück. Er hörte Hollenbergs Schritte auf dem Flur. Fluchtgeschwindigkeit, dachte er und fragte sich, aus welchen Gründen der Bauer nicht über die Stele hatte reden wollen. Eine Art Solidarität oder – Angst? Und wenn ja, wovor?
Das Bild seiner Schwester überschwemmte seine Gedanken, löste erneut entsetzten Schrecken aus, der ihn übermannt hatte, als sie nach dem Bad mit nur mühsam beherrschtem Schmerz in die Küche gekommen war und seine Sorge mit einem Schulterzucken abgetan hatte. Sie hatte sich in eine Wolldecke gehüllt und in den Sessel gekuschelt und nur widerstrebend akzeptiert, dass er den Notdienst anrief. Nach einer elendig langen Stunde war der Arzt endlich eingetroffen und hatte Katharina, die inzwischen ein wenig gegessen hatte, schnell und professionell versorgt und ihr trotz der Verabreichung einer schmerzlindernden Spritze für die Nacht starkes Ibuprofen dagelassen.
»Sie scheint mir stabil zu sein«, hatte der Arzt, den Türgriff schon in der Hand, gesagt. »Frakturen habe ich auch keine feststellen können. Aber mir wäre wohler, wenn Ihre Schwester bereit wäre, sich ins Krankenhaus einweisen und ordentlich untersuchen
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