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Bitteres Blut

Bitteres Blut

Titel: Bitteres Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Voss
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geschafft.«
    »Trinkst du denn noch einen?«
    »Dann kann ich nicht mehr fahren.«
    »Ich brauche das Zeug. Ohne komme ich überhaupt nicht in den Schlaf. Ist die Hölle, sage ich dir. Ich hab’s ’ne Zeit lang mit Pillen versucht, aber dann kam ich morgens nicht raus. Na gut, ganz wie du willst.« Steinbrecher lächelte müde. »Im Stall weiß übrigens keiner, dass ich in den Klub gehe.«
    »Daran wird sich auch nichts ändern.«
    Steinbrecher nickte. »Ich danke dir.« Seine linke Hand entlockte dem Weinglas durch Reiben einen singenden Ton. Mit der rechten bildete er das Victoryzeichen. »Das ist gut, Kollege. Dienst ist Dienst und …«
    »… Schnaps ist Schnaps, wie die Schusterjungen so sagen.« Lorinser kniff ein Auge zu. »Ich zahl dann mal.«
    »Ja, mach das. Und … bis morgen denn.«
    »Bis morgen«, sagte Lorinser und winkte der Kellnerin.
    Steinbrechers Rat, abzuschalten, machte schon Sinn. Einen theoretischen. Aber ein Kopf ist ein Kopf und keine Suppenschüssel, deren Inhalt sich auf die Schnelle entsorgen lässt. Und was den Alkohol angeht, dachte Lorinser, als das blecherne Garagentor im Rücken des zweigeschossigen Backsteinhauses laut scheppernd einrastete, der spült bestenfalls leicht verderblichen Trost in deine aufgewühlte Seele. Gleichgültig, ob du das Zeug am Küchentisch oder im Schummerlicht eines Puffs in dich hineinschüttest.
    Ihm jedenfalls gelang es nicht, sich nach Feierabend von seinen Fällen zu lösen. Sie rumorten, beschäftigten ihn bis in die oft wirren, manchmal explosiven Träume hinein, in denen nicht nur das Gesicht seines Vaters und besonders dessen erloschene Augen wie Aufpasser herumgeisterten.
    Im Postkasten fand er Werbezettel und einen Brief von der Bank. Den Brief steckte er ein, die Werbung warf er in die graue Tonne mit der Aufschrift »Nur für Papier!«. Die hölzerne Treppe knarrte und roch nach dem gleichen Wachs, den auch seine Mutter zu Hause verwendete. Im Obergeschoss mischten sich Farbausdünstungen mit den aus der Nachbarwohnung strömenden Aromen überhitzten Fetts. Auf der Kokosmatte vor seiner Wohnungstür kauerte eine in eine graue Regenjacke gehüllte Gestalt. Der blond gefärbte, mit beiden Händen abgeschirmte Kopf ruhte auf den hochgestellten, dicht an den Körper gezogenen Knien.
    »Katta!«, sagte er leise und berührte sanft ihre Schulter.
    Sie hob den Kopf. Ihr Gesicht war verquollen, als hätte sie sich in den Schlaf geweint. Das rechte Auge nässte. Das linke blinzelte aus einer blaugelb verfärbten Wulst, die sich bis über die Brauen in die Stirn und über den Wangenknochen zog. Sie streckte ihm beide Hände entgegen.
    »Die Haustür war offen«, flüsterte sie, bemüht, sich am Türknopf hochzuziehen.
    »Das ist sie immer«, sagte er und half ihr auf die Beine. Er zog sie an sich und barg sie in seinen Armen. Er spürte ihr Zittern, ihre Wärme, roch ihr Haar, eine Mischung aus Haartalg und Shampoo mit Spuren ihres moschushaltigen Parfums. Ihre Hände schlossen sich in seinem Rücken, übten heftigen Druck aus, als wollte sie sich mit ihm verschweißen. Ihre Tränen krochen warm durch den Stoff seines Hemds.
    »Lass mich aufschließen«, sagte er und versuchte, den Schlüssel in den Schlitz des Schlosses zu schieben. Die Tür sprang mit einem leichten Knarren auf. Er drängte seine Schwester in den Flur, gab der Tür einen Schubs und schaltete das Licht ein.
    »Um Himmels willen, Katta, was ist passiert?«
    »Meine Tasche«, sagte sie. »Draußen muss noch meine Handtasche liegen.« Sie löste sich von ihm, riss die Tür auf und bückte sich nach dem olivgrünen Beutel, auf dem sie gesessen haben musste. »Das ist alles, was ich habe«, sagte sie und schloss die Tür. »Darf ich mal deine Toilette benutzen? Sonst laufe ich noch aus.«
    Er deutete auf den Stapel Umzugskisten, hinter der sich die Tür zum Bad befand. Sie drängte sich an ihm vorbei, war bereits vor dem Bad, als sie zurückkehrte und ihm stumm über das Gesicht strich.
    »Gleich«, sagte sie und verschwand hinter der Tür.
    Lorinser hörte das Fallen der Toilettenbrille. Er lehnte sich an die Wand, schloss die Augen und presste beide Hände vor das Gesicht. Wie wenig sie ist, schoss es ihm durch den Kopf, das Bild ihres verunstalteten Gesichts vor Augen. Aber durchaus kein Prinzesschen, wie sie früher zu Hause genannt worden war, sondern eine Kämpferin, die offensichtlich zu ihm gekommen war, um sich die wie auch immer zustande gekommenen Wunden zu

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