Bitteres Blut
bezahlte Rechnungen gestoßen, jedoch nicht auf die Worte, von denen er die Antwort erhofft hatte.
Seine Mutter, die den Tod ihres Mannes offensichtlich als Befreiung empfand, hatte ihm auch nicht helfen können. Oder wollen. Für sie war mit dem Versenken des Sarges der letzte Akt des Dramas gespielt und der Vorhang gefallen, obwohl sie sich, wie Lorinser, besorgt fragte, ob das depressive Erbe des Verstorbenen eines Tages auch bei ihren Kindern unheilvoll durchbrechen würde. Seiner Schwester Katharina, genannt Katta, die nach früher Heirat und Kind schon nach Monaten aus der turbulenten Ehe ausgebrochen und für Mutters Geschmack zu flatterhaft geworden war, hatte sie ja oft genug prophezeiend vorgehalten, »wie Vati zu sein, wie ein Korken, der im Wasser treibt und keinen eigenen Weg hat«. War das auch die Botschaft des Textes auf dem Zettel?
Er wusste es nicht, ahnte aber, dass Steinbrecher ein ähnlicher Fall war, nur deshalb nicht vollends aus der Bahn geworfen, weil die Routine des Dienstes ihn in der Umlaufbahn hielt. So sehr er ihn aber zu verstehen glaubte, so wenig fühlte er sich in der Lage, den psychologisierenden Beichtvater zu spielen. Um Absolution schien es dem Kollegen auch nicht zu gehen. Wahrscheinlich fürchtete er nur das Elend der Einsamkeit in der ungewohnten Leere seines Hauses. Ihm selbst ging es ja ähnlich, wenn er seinekleine noch nicht eingerichtete Wohnung unweit des Bahnhofs betrat und die Stapel von unausgepackten Umzugskartons in ihm das Gefühl weckten, frostiges Niemandsland zu betreten.
»Wie weit bist du mit den Beweismitteln?«, fragte er. »Mit dem Blut an dem Taschentuch zum Beispiel?«
»A mit Rhesus-Antigen D, also positiv«, sagte Steinbrecher. Er nahm den Oberkörper zurück, um der Kellnerin Platz zu machen, die den nächsten Wein servierte. »Die gleiche Suppe am Schuh. Eindeutig menschlich, was aber gar nichts besagt, weil wir noch keine Vergleichsproben von diesem Böse haben. – Oder hast du sie mitgebracht?«
Lorinser schüttelte den Kopf. »Woher hätte ich’s nehmen sollen? Dass sein Vater ein Fläschchen im Kühlschrank aufbewahrt, konnte ich mir einfach nicht vorstellen.«
Steinbrecher hob sein Glas, prostete ihm zu. »Eilt ja nicht«, sagte er. »Solange es keine Leiche gibt …« Er hob die Schultern, trank und wischte sich mit dem Handrücken die Lippen. »Was sagt Timmermans dazu?«
»›Bleiben Sie dran, mein Lieber‹«, ahmte Lorinser die bedächtige Sprechweise des Vorgesetzten nach.
»Und immer der Reihe nach«, fuhr Steinbrecher fort. »Und vor allen Dingen abschalten, sobald du den Stall verlassen hast. Der beste Motor geht kaputt, wenn du ihm keine Pause gönnst. Ich kenne in Richtung Vechta einen netten Klub. Die LG.«
»LG?«
»Ludenfreie Genossenschaft. Da haben sich einige Mädchen zusammengeschlossen, die es satthaben, von Zuhältern ausgebeutet zu werden. Wenn du Lust hast, führe ich dich ein.«
»Ich mit meiner Knoblauchschnauze?«
»Mit Küssen haben die Mädels es sowieso nicht, da musst du dir keine Sorgen machen.«
»Sorgen macht mir mein Portemonnaie.«
»Ich habe Rabatt. Siebzig. Dafür machen sie es dir, bis Blut kommt. Getränke inklusive. Guter Laden, echt schicke Dinger, diekeine Tabus kennen. Ich hätte viel früher draufkommen sollen. Vor der Heirat. Dann hätte ich mir eine Menge Ärger erspart. – Die akzeptieren im Übrigen auch Kreditkarten.«
Es gab Fragen, die ließen sich nicht so einfach beantworten. Nicht abends in einem Restaurant, in dem das Rauschen der Stimmen sich mit aus kratzenden Lautsprechern fließenden italienischen Schnulzen mischte und zusammen mit den trägen Gedanken eine Musik wie Meeresrauschen komponierte. Lorinser schüttelte auch nur kaum merklich den Kopf. Nicht, dass er es nicht nötig hatte. Aber die Vorstellung, den Kollegen in Zukunft als augenzwinkernden Zeugen ertragen zu müssen, trieb ihm trotz des wärmenden Alkohols kalten Schweiß auf die Stirn.
»Du kannst es dir ja noch überlegen«, sagte Steinbrecher sichtlich enttäuscht. »Ich dachte nur, weil dir ja auch die Decke auf den Kopf fallen muss in deiner Bude.« Er hob sein Glas. »Oder findest du es sonderbar, dass ich den Stoff und die Nähe dieser Mädchen brauche?«
»Ganz und gar nicht. Jeder versucht auf seine Weise, seine Albträume zu vertreiben.«
»Was hast du denn für welche?«
»Ich hab das Auto vor der Tür«, sagte er, um das Gespräch nicht zu vertiefen. »Ich bin ziemlich
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