Bitteres Blut
Versuch, sich die Patentrechte Ihres Bruders zu sichern?«
»Patentrechte?« Böse lachte bitter. »Nennen Sie das Kind getrost beim richtigen Namen: Es war Betrug! Mein Bruder istum die Früchte seiner Arbeit gebracht worden. Kröger brachte ihn damals mit Vertretern einer Firmengruppe zusammen. Die K-Tec, der Konzern, der seine Patente erwarb und verwertete, macht damit seit Jahren Dutzende von Millionen. Die haben ihn trickreich in den Ruin getrieben, um sich in den Besitz seiner Erfindungen zu bringen. Thorsten hat die Akten gesichtet und juristischen Rat eingeholt. Danach sind die Prozessaussichten durchaus erfolgversprechend. Wie sehr, zeigte sich in der Bereitschaft der K-Tec, ernsthafte Gespräche in der Sache zu führen.«
»Haben Sie die entsprechenden Unterlagen gesehen?«
»Solche Sachen berühren mich nicht mehr.«
Lorinser seufzte. Er ahnte, das Böse von seinem Sohn mit erfundenen Erfolgsmeldungen an der Nase herumgeführt worden war. Laut Gertraud Simmerau, der Wirtschaftsberaterin, gab es schon wegen des Rechteverfalls keine Erfolgsaussicht gegen die Patentverwerter. So sehr er sich gegen das Gefühl wehrte, aber der alte Mann tat ihm leid.
»Erlauben Sie, dass ich rauche?«
»Es sind Ihre Lungen, die Sie vergiften.«
»Als ich damit anfing, war es noch nicht verpönt«, sagte Lorinser und schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen. »Damals versteckte man allerdings auch keine Denkmäler in Holunderbüschen.«
Böses haarlose Brauenwülste bogen sich über plötzlich hellwachen Augen.
»Ich habe einige Leute befragt«, fuhr Lorinser fort, »aber nur ausweichende Antworten erhalten. Niemand wollte an die Stele Ihres Vaters erinnert werden.«
»Ha!«
»Warum eigentlich? Warum der seltsame Standort am Deich? Warum die Zerstörungen? Warum haben Sie nichts gegen den offenkundigen Vandalismus unternommen?«
»Der Schande wegen, junger Mann!«
»Beim besten Willen, das verstehe ich nicht. Ist es nicht vielmehr eine Schande, das Ehrenmal verkommen zu lassen?«
Böses rechte Hand ruckte in Richtung Dorf. In seine Augen trat ein seltsamer Glanz. Eine innere Kraft, vielleicht war es Selbstgefälligkeit, vielleicht auch Stolz, richtete seinen mageren Körper auf. »Die Dialektik dieser Geschichte zu verstehen, setzt Wissen um die Zusammenhänge voraus. Die Stele ist der Garant dafür, dass diese Leute da unten an ihre Schande erinnert werden.«
In Anerkennung seiner wissenschaftlichen Verdienste war dem Dr. Karl-Herrmann Böse von einer wissenschaftlichen Vereinigung jene jetzt am Deich verrottende Stele mit dem bronzenen Abbild seines Kopfes gewidmet worden. Feierlich und mit salbungsvoller Rede der Ortsprominenz, so Böse, habe man sie 1927 »mitten im Ort« unter großer Anteilnahme der Bevölkerung ihrer Bestimmung übergeben. Überaus stolz sei man gewesen, den bedeutenden Sohn der Gemeinde in der Weise geehrt zu sehen. Als aber die Nationalsozialisten die Macht übernahmen, war es vorbei mit der Bewunderung für den genialen Sohn vom Dümmer. Die neuen Machthaber erinnerten sich nur zu genau, dass der alte Herr – der damals so alt noch gar nicht gewesen war – sich mit aller Kraft und einigem Geld gegen die braunen »Dumpflinge« engagiert hatte. Man begnügte sich zunächst damit, die Stele mit Farbe zu verunstalten. Als dann herauskam, dass ein jüdischer Bildhauer Entwurf und Gestaltung der Stele vorgenommen hatte, riss man sie unter johlender Anteilnahme vieler Dorfbewohner und der neuen Machthaber nach vandalistischen Attacken kurzerhand ab und entsorgte sie auf dem Schutthaufen des Bauhofs.
»Die Herren, die gestern noch Knechte waren, sonnten sich im Schein der neuen Macht«, sagte Böse in einem Ton, der seine Verachtung ahnen ließ. »Aber sie sonnten sich nicht nur, sie überschwemmten das Land mit ihrem braunen Brackwasser. Schon 1933 erhielten sie im hiesigen Wahlkreis mehr als zwei Drittel der Stimmen. Es dauerte kein Jahr, und sie hatten alles unter Kontrolle. Die Ämter, die Schulen, die Vereine. Und vor allem die Köpfe.« Er ballte die Hände. »Deutsch hatte alles zu sein. Das Brot, die Kartoffeln, die Wissenschaft. Und was ihnen nicht deutsch genug war, wurde so lange boykottiert, bis sie es ruiniert hatten. Die Versteigerer hatten damals Hochkonjunktur. Sie müssen nur nach den größten Häusern schauen, dann wissen Sie, wen ich meine. Doppelt gebrannter Klinker, vierzig Zentimeter dicke Mauern und Dächer, die die sich im Glauben, ihre Herrlichkeit werde
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