Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bitteres Blut

Bitteres Blut

Titel: Bitteres Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Voss
Vom Netzwerk:
merken Sie, dass überall Mikrofone stehen«, sagte der Polizist mit verschwörerisch gedämpfter Stimme, als der Anwalt den Schankraum verlassen hatte. »Und die sind verbunden mit vielen kleinen Lautsprechern, aus denen im Flüsterton die kleinen und großen Geschichten des Dorfes plätschern. Funktioniert so ähnlich wie mit den Beichtstühlen der Katholen. Sie müssen nur wissen, wo die Dinger sind, müssen die Ohren in das Gesäusel halten, dann kriegen Sie eine Menge von dem mit, was hier abläuft. Ob Sie wollen oder nicht, Sie haben den Überblick. Verstehen Sie, was ich meine?«
    Lorinser verstand, wenngleich die oberlehrerhafte Art des Vortrags ihm auf den Senkel ging. Die Streichholzflamme fraß sich in den Tabak. Bossen rückte näher an Lorinser heran und neigte den Kopf. Seine eindringliche Stimme wurde noch leiser.
    »Sie kriegen mit, dass die strahlende Ehrbarkeit in Person seit Jahren seine Tochter vögelt und dass nicht nur seine Frau aus Angst vor dem Sturz ins Nichts die Augen verschließt. Sie hören, wie die Schweinehunde es hinkriegen, aus fruchtbaren Äckern Bauland zu machen, wie Posten verschachert und ehrenamtliche Jobs mit dicken Aufwandsentschädigungen gedopt werden, wie alte Menschen um ihre Grundstücke und oft genug um den Verstand gebracht werden. Sie kriegen all die kleinen und großen Schweinereien mit, aber auch, dass Sie nur in den seltensten Fällen eingreifen können. Im Grunde sind Sie machtlos, weil Sie Erkenntnisse, aber keine Beweise haben. Gegen die Mauer kommen Sie nicht an. Sie haben nur eine Alternative: Sie rennen sich den Kopf blutig, oder Sie versuchen, das Beste draus zu machen.« Er warf das verkohlte Streichholz in den Reklameaschenbecher und tippte sich an die Stirn. »Ich hab da nur ’ne kleine Narbe. Und dabei soll es auch bleiben, verstehen Sie?«
    »Und jetzt erzählen Sie mir, wo ich den lustig vor sich hingrinsenden Thorsten Böse finden kann?«
    Bossen lachte dröhnend auf. »Schön wär’s! Schon um den kleinen Affen mal ordentlich strammstehen zu lassen. Damit kann ich leider nicht dienen. Aber mit ’nem kleinen Tipp in Richtung Presse.« Er deutete hinter sich. »Unser Reporter Halvesleben ist mit Thörstchen ganz ordentlich aneinandergeraten. Wie es heißt, sogar handgreiflich. Am frühen Sonntagabend hinter dem Schützenzelt. Muss nichts bedeuten, kann aber, zumal er sich mit denen schon seit Jahren heftig zofft. Außerdem steht sein Haus nicht weit von dem Denkmal entfernt, begreifen Sie?« Das Doppelkinn zitterte, und die hinter Fettpölsterchen funkelnden Augen glitzerten bedeutungsschwer. Dem rotvioletten Zinken Bossens entströmten zwei graue Rauchfahnen, während seine aufgestülpten Lippen die von der gepolsterten Hand gehaltene Zigarre umzuzzelten.
    »Ich nehme an, Sie haben Halvesleben noch nicht befragt?«
    »Keine Anzeige, keine Vernehmung, Lorinser. Mit anderen Worten: Sie hörten eine Sendung des Dschungelfunks, werter Kollege. Erzählen Sie mir bei Gelegenheit, ob Sie daraus was haben machen können. Da kommt Erwin übrigens mit dem Lachs. Ist zwar aus der Tiefkühltruhe, aber ganz gut.«
    »So, der Herr«, sagte der Wirt, stellte das braune Pressholztablett ab und servierte das Essen und den Wein.
    »Guten Appetit«, wünschte Bossen und kämpfte sich schwerfällig hinter dem Tisch hervor.
    »Danke auch für die Informationen«, rief Lorinser ihm nach und griff nach Messer und Gabel.
    Bossen hob gönnerhaft die rechte Hand, tätschelte dem Wirt freundschaftlich die Hüfte und watschelte hinaus. Aus den versteckten Lautsprechern ölten die Wildecker Herzbuben zum höchsten Vergnügen des Thekenstehers »Herzilein, musst net traurig sein«.
    In Hochstimmung hatte ihn der Lachs nicht versetzt. Der Weißwein war so nichtssagend rund, wie es die Designer in den kalifornischen Labors ausgetüftelt hatten. Ein Tiefschlag war der düstere Himmel, aus dem schwer wie aus Kannen Wind gepeitschter Regen trommelte. Lorinsers Gedanken kreisten um Halvesleben und die Frage, ob es Sinn machte, die Isabella über dessen verschlammte Zufahrt zu lenken. Er entschloss sich, erst mal Kattas Sehnsucht nach schwarzer Schokolade zu erfüllen.
    Als er mit seinen neunundsiebzig Euro vierundzwanzig schweren Plastiktüten den Supermarkt in der Nähe der evangelischen Kirche verließ, regnete es immer noch, aber sanft und in dünnen grauen Fäden. Er verstaute den Einkauf vor dem Beifahrersitz und blickte, als die eingeschobene Marika-Rökk-Kassette lediglich ein

Weitere Kostenlose Bücher