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Bitteres Blut

Bitteres Blut

Titel: Bitteres Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Voss
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falls er überhaupt »zu Tisch gehen wolle«, schon mit der Gaststube vorliebnehmen, dort sei noch genügend Platz.
    Lärmende Stimmen übertönten ein Schmachtstück aus der Hitparade der Volksmusik. Speisengeruch. Eine untersetzte Kellnerin hastete mit mehreren gefüllten Tellern durch den Flur auf den Saal zu. Es roch nach Gurkensalat, Braten und Bier. Eine helle, krähende Männerstimme kratzte sich durch das Stimmgewirr: »Kann mir einer sagen, was ’ne heiße Frau morgens um halb sieben mit ihrem Arsch macht?« Als Lorinser den schmalen Schankraum betrat, keckerte vom Tresen her ein untersetzter Glatzkopf um die fünfzig die Antwort: »Sie drückt ihm den Henkelmann in die Hand und schickt ihn zur Arbeit! Hahaha!«
    Der Einzige, der über den langbärtigen Witz grölte, war der nicht mehr ganz standfeste Erzähler. Dorfsheriff Bossen schaufelte ungerührt und mit teilnahmslosem Blick Zwiebelbraten von seinem dampfenden Teller. Neben ihm am Kopfende ein Pfeife putzendes dürres Männlein, dessen kugelartiges Gesicht schweißnass glänzte und vom lockigen Flor einer Jesusfrisur umrahmt war. Er gönnte Lorinser den Ansatz eines Nickens. Das ältliche Paar am Nebentisch steckte die Köpfe über der Lokalzeitung zusammen. Über ihnen eine blaue Uhr, deren Ziffern linksherum angeordnet waren und deren Zeiger über dem roten Eindruck España es diferente in die gleiche Richtung liefen.
    »Darf ich?«
    »Nur zu, Kollege«, sagte Bossen kauend und nickte dem Platz am freien Kopfende zu. »Das Einverständnis des Herrn Rechtsanwalts selbstverständlich vorausgesetzt.«
    »Wir leben in einer freien Gesellschaft, in der selbst die Polizei unser Vertrauen genießt«, sagte das Männlein, das Ebertuwski hieß, und nickte zum zweiten Mal. Dieses Mal klar erkennbar und begleitet von einem aufmunternden Blinzeln.
    »Hört man nicht oft«, sagte Lorinser und ließ sich auf die gepolsterte Holzbank fallen.
    »So denkst du aber erst«, stichelte Bossen, »seitdem du die tiefroten Socken gegen grüne ausgetauscht hast, Robert.«
    »Andere denken gar nicht«, sagte der kleine Mann bissig und setzte seine Pfeife zusammen. »Namen muss ich ja wohl nicht nennen.«
    »Nimm’s nicht so tragisch, ich bin auch schon mal geblitzt worden.«
    »Aber gezahlt haste nicht, von wegen Einsatz und so.«
    »Dienstgeheimnis«, murmelte Bossen und schob sich eine Ladung Zwiebeln in den Mund. Er wandte sich an Lorinser. »Sie machen auch nicht gerade den glücklichsten Eindruck.«
    »Liegt wohl am Hunger.«
    »Dagegen haben wir was«, sagte der weißhaarige Wirt, der wie aus dem Nichts an den Tisch getreten war. »Erst mal ein Bierchen?«
    »Gute Idee. Dann hätte ich gerne was Leichtes. Was würden Sie mir empfehlen?«
    »Ein anderes Lokal«, platzte es mit Soßenresten über Bossens Lippen. »Oder wie siehst du das, Erwin?«
    Erwin lächelte säuerlich. »Ich schlage dem Herrn unseren Lachs mit Butterreis und der Variation von Blattsalaten vor«, sagte er freundlich. Aber seine mahlenden Kieferknochen und die leicht verengten Augen zeigten, dass ihm die derbe Anmache Bossens ganz und gar nicht gefiel.
    »Klingt gut«, sagte Lorinser, »dann also den Lachs, aber anstelle des Biers einen trockenen Weißen.«
    »Sehr gerne, der Herr.«
    Der Wirt ging. Der Anwalt räumte, den Kopf gesenkt, seine Pfeife in ein ledernes Etui. Bossen schaffte das Kunststück, zu kauen und dennoch glucksend vor sich hin zu lachen.
    »Sehr gerne, der Herr!«, ahmte er die sanfte Sprechweise des Wirtes nach. »Demnächst serviert er noch auf silbernen Platten!« Offenbar genoss er seine Rolle als unangefochtener Platzhirsch. Und die beiden Schnitzel, die zusammen mit den Zwiebeln und Kartoffeln in Windeseile vom Teller verschwanden. Ein Rülpsen kündigte das Ende seiner Mahlzeit an.
    »Sind Sie mit Ihrer Sache weitergekommen, Lorinser?«
    »In der Sache nicht, aber ich habe eine Reihe interessanter Menschen kennengelernt. Und den Ort natürlich.«
    »Und Ärger gehabt, wie ich hörte.«
    »Was Sie alles hören!«
    »Nicht wahr?«
    Bossen lachte meckernd, schob den Teller in die Mitte des Tisches und zog ein ledernes Zigarrenetui aus der Innentasche seiner Uniform. Er befeuchtete das Ende der Fehlfarben, biss die Spitze ab und steckte ein abgebrochenes Streichholz hinein.
    »Schönen Tag noch«, sagte der Anwalt und erhob sich. Der Witzerzähler forderte lautstark ein frisches Pils. Bossen ratschte ein Streichholz an.
    »Wenn Sie lange genug in einer solchen Gemeinde leben,

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