Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bitteres Blut

Bitteres Blut

Titel: Bitteres Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Voss
Vom Netzwerk:
verdächtiges Knattern auslöste, auf seine in irgendeinem Gehirnwinkel abgespeicherte »Was-ist-zu-tun?«-Liste.
    Der Name Halvesleben war an die erste Stelle gerückt und hatte dessen namenlose Nachbarn an die zweite Stelle verbannt. Wolfhardt Böse, stand da geschrieben, im Archiv nachforschen! Einen Augenblick lang war er versucht, KHK Hildebrandt anzurufen, um ihr Bericht zu erstatten. Aber nur einen Augenblick. Er nahm die Kassette aus dem Schacht des Rekorders und warf sie auf den Beifahrersitz.
    Er lenkte den Wagen durch die verregnete Lagerhallenromantik des Geschäftszentrums, vorbei an der uniformen Wiedererkennungs-Architektur der Discounter, Fließbandbäcker und China-Ramsch-Höker und stieg kurz vor der Ausfahrt jäh auf die Bremse, als er am Heck eines Golf unter einem blauen Regenschirm Paula entdeckte. Überaus hübsch anzusehen. Enge Jeans, weiße Bluse, rotblonde Haare und dieses heitere Gesicht, das nur für ihre riesengroßen, graublauen Augen komponiert zu sein schien. In ihnen blitzte auch noch freudiges Erkennen auf. Lorinser parkte und stieg aus.
    »Heiliger Bimbam«, rief sie. »Das ist ja ’ne Überraschung!«
    »Eine angenehme, hoffe ich.«
    »Dass du mich wiedererkannt hast!« Sie intonierte ihr helles, klirrendes Lachen, das ihren Mund zu einer reinen Aufforderung machte. »Wir waren ganz schön drauf, oder? Neuerfindung der Moral und so. Hätte nie gedacht, dass du mich noch wiedererkennst! Chris … Christo … Christoph, stimmt’s?«
    »Kristian, Paula. Mit K.«
    »Mit XGB wär’s die Katastrophe. Also wirklich, dass du mich erkannt hast! Ich war wohl ganz schön zu, was?«
    »Weg warst du plötzlich.«
    »Ich? Ich war nur kurz für kleine Mädchen. Als ich zurückkam, stand nur noch dein Glas da. Viña Real. Und es sah aus, als hättest du mir ein Trinkgeld dagelassen.« Ihr rechter Zeigefinger stieß auf ihn zu und berührte sein Kinn. »Ich war ganz schön sauer, das sage ich dir.«
    »Und ich habe dich gesucht !«
    »Tja, die Brille findet man ganz zuletzt auf der eigenen Nase. Aber schön, dich zu sehen. Ich fühle mich schlichtweg gezwungen, dir aus gegebenem Anlass bei Tchibo einen Kaffee zu sponsern. Darf ich?«
    »Du darfst noch viel mehr«, sagte er und legte seinen Arm um ihre Hüfte.
    Hilde Knef machte keine Schwierigkeiten. Die nach dem Kauf des Autos im Handschuhfach gefundene Kassette schepperte zwar im Abspielschacht des alten Blaupunkt Rekorders, aber nicht nur ihr mit rauchiger Stimme dargebrachtes »Eins und eins, das macht zwei« ließ Lorinser die schlechte Qualität der beiden aus den sechziger Jahren stammenden Hecklautsprecher vergessen. Das unverhoffte Wiedersehen mit Paula hatte mehr noch als die drei Tassen Kaffee seinen Puls auf Touren und seine Stimmung auf die höchste aller Stufen gebracht.
    Welch eine Frau!
    Nur war sie jetzt nicht mehr die Nebelgestalt einer alkoholisierten Nacht, sondern ein greifbares, seine Sinne aufwühlendesWesen aus Fleisch und Blut. Eine Nachbarin obendrein. Sie lebte ebenfalls in der Nähe des Diepholzer Bahnhofs, sozusagen im Orchestergraben des Verkehrstheaters, durch das in regelmäßigen Abständen ICEs, Regional- und Güterzüge ihre wegen der Gewöhnung an sie schon nicht mehr nervenden Lärmkompositionen schmetterten. Neunundzwanzig Jahre alt war sie in jener Nacht geworden, als Lorinser sie kennengelernt und Stunden später wieder verloren hatte. Erst der, wie sie sagte, spontane Besuch bei ihrem an diesem Sonntag aus dem Urlaub zurückgekehrten Vater habe dem Zufall ihrer Begegnung eine Chance gegeben. Ob Vater, Zufall oder nicht, ihren Haaren tat keinerlei Chemie ein Leid an. Ihre Bräune war das Nebenprodukt eines Abenteuerurlaubs in Sibirien, den sie mit den »inzwischen ganz ordentlichen Erträgen« ihrer auf Tierplastiken spezialisierten Kunstschmiede finanziert hatte. Eine logische Karriere für eine Frau, die nach Jurastudium, zweitem Staatsexamen und unbezahltem Praktikum in einer Anwaltskanzlei keine Anstellung gefunden hatte, stellte sie eher ironisch als bitter fest.
    »Aber ich fühle mich wohl in der Nähe von Amboss und Schweißbrenner. Ich komme rum und finde dabei abhandengekommene Kerle wieder. Ist auch nicht schlecht, oder? Brauchst du nicht zufällig ein wunderschön geschmiedetes Kranichpärchen? Zum Beispiel für deinen Garten?«
    Was er brauchte, spürte er geradezu schmerzhaft unterhalb des Bauchnabels.
    »Mein Garten besteht aus zwei Blumentöpfen auf dem Fensterbrett«, sagte er mit

Weitere Kostenlose Bücher