Bitteres Blut
einem Blick auf ihre Brüste, die, er war sicher, nicht in stützenden Körbchen steckten.
»Ich bin gut im Anpassen. Von Figuren. Was hältst du von einem baldigen Besichtigungstermin?«
Er hielt ihn für eine Überlebensfrage. Trotz des anstehenden Gesprächs mit Halvesleben, des unumgänglichen Besuchs bei dem in Körner verliebten Pärchen in dessen Nachbarschaft und des hildebrandtschen Schwerts, das in Form von aufgezwungenerErmittlungsarbeit gegen den gewaltbereiten Jugendlichen über ihm schwebte. Er dachte natürlich auch an Katta, die trotz ihrer Verletzungen inzwischen sicherlich ihre Vorbereitungen für den Rinderbraten à la Mutter erledigt hatte.
»Zwanzig Uhr?«, schlug er in der Hoffnung vor, die anstehenden Probleme in der verbleibenden Zeit lösen zu können.
»Ich freu mich«, sagte sie und ließ wieder ihr klirrendes Lachen hören. »Ich freu mich riesig … besonders darauf, dass die Kraniche in gute Hände kommen.«
Die ?
Er lachte sie an und spürte sein heftiger schlagendes Herz, als er das verräterisch-einladende Glitzern in ihren Augen bemerkte.
Lorinser stoppte den Wagen zwischen Haus und Garage des Halveslebenschen Anwesens. Er ging auf die Tür zu und klingelte. Kein Ton. Auch beim zweiten Mal nicht. Er entdeckte den gelben Haftzettel, der auf den Postkasten geklebt war.
»Hallo Maus«, war da in klarer Druckschrift zu lesen, »ich bin in der Redaktion und besorge danach im Gartenmarkt die Harke. Denke, bin um sechs zurück. Küsschen, Bernie.«
Wahrscheinlich Bernd oder Bernhard, vermutete Lorinser, als er durch die getönten Butzenscheiben in die Diele des großen Bauernhauses blickte und dort eine rot-weiß gefleckte Katze entdeckte, die er mit seiner Klingelei aus dem Schlaf gerissen hatte. Sie warf ihm einen gelangweilten Blick zu, senkte das müde Haupt und schloss nach wenigen Augenblicken wieder die Augen.
Halveslebens Maus hatte das schlichte Halbhaus offensichtlich auch verlassen. Die offene Doppelgarage war bis auf einen roten Aufsitzrasenmäher leer. Dahinter, von Büschen und hohen Kastanien geschützt, das etwa zweihundert Meter entfernte strohgedeckte Hexenhäuschen der Nachbarn. Auf der Weide davor parkte unter einem blauen Zeltdach ein grauer Minivan. Eine dunkle Doppelspur wies den Fahrweg über die Weide aus.
Es war sechzehn Uhr fünf, als sein Telefon klingelte. Es war Hildebrandt. Mit einer Stimme, die ganz schön weit weg von der Tonlage der Erlösung war. Ob er sich einen schönen Tag gemacht hätte, fragte sie provokativ. Ihrer, ahnte Lorinser, schien die reine Katastrophe gewesen zu sein. Ihr aktueller Favorit, der jugendliche Gewalttäter mit seinen Beziehungen zur Diepholzer Latino-Mafia, sei ihr kurz vor der Kapitulation sozusagen vom Tablett gekickt worden. Von einem verquasten Vertreter des Jugendamtes in Begleitung eines weltfremden und obendrein mehr als schnoddrigen Rechtsanwalts, der einen Beschluss des Amtsgerichts zur sofortigen Entlassung des Strafunmündigen in eine Rehabilitierungsmaßnahme vorgelegt hatte. Aus der Traum von einer erfolgreichen Aufklärung.
»Und Sie, sind Sie mit Ihrem mysteriösen Fall wenigstens einen Schritt weitergekommen?«
Lorinser spulte mit knappen Worten sein Tagespensum ab. Als er von dem tatsächlich oder vermeintlich in Brockum gesichteten Porsche Böses berichtete, war es mit Hildebrandts Beherrschung vorbei.
»Verdammt noch mal, mir reicht es jetzt! Sie haben mit der eindeutigen Zeugenaussage den klaren Beweis, dass der Fall in die Vermisstenabteilung und nicht in unseren Bereich gehört! Wir haben Wichtigeres zu tun, als uns um den wie auch immer begründeten Ausflug eines Sunnyboys zu kümmern.«
»Ich sehe die Sache ein wenig anders, ich denke …«
»Was Sie denken oder vermuten, ist mir vollkommen gleichgültig. Solange keine konkreten Tatsachen vorliegen, werden Sie den Fall ruhen lassen. Drücke ich mich klar genug aus?«
»Ich habe Hinweise, die …«
»Keine Leiche, keine Ermittlungen, Herr Kriminalobermeister! Ich erwarte Sie morgen früh möglichst ausgeruht in der Dienststelle. Zu tun haben wir mehr als genug.«
»Wie Sie wünschen«, sagte Lorinser. Zweifel hatte er, ob das mit dem Ausgeruhtsein funktionieren würde. Bis Paula waren esnur noch gute drei Stunden. Was danach kam, würde, wenn sich seine Wünsche erfüllten, ganz schön viel Zeit und Kraft kosten. Zwanzig Minuten hatte er für den Weg nach Diepholz einzurechnen. Die Rückkehr in die Inspektion würde er sich ersparen.
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