Bitteres Blut
um sich vor dem Gestank zu retten, blickte ratlos auf den Schlepperfahrer. Ihr Blick wanderte fragend zu Lorinser, glitt schnell weiter zu Steinbrecher und Bossen und dann zurück zur baumelnden Leiche. In ihrem weißen Schutzanzug sah sie noch verlorener als der wie von Christo zu einer Wurst verpackte Bossen aus. Vielleicht auch deshalb, weil sie sich wie eine Verliererin fühlte.
»Erst mal auf den Boden«, rief Steinbrecher gegen das Gebuller des Schleppermotors an. Bossen, die erloschene Zigarre zwischen den wulstigen Lippen drehend, kommentierte die Anweisung mit einem Nicken. Neben ihm lag ein grüner Wasserschlauch, der sich über den grauen Beton bis zu einer Remise schlängelte, in der vor einer Wand aus Strohballen ein rot lackierter Heuwender stand. Rechts davon, zwischen den gemauerten Pfeilern des Gebäudes, war der riesige Güllewagen abgestellt, in den der Inhalt der Grube gepumpt worden wäre. Wenn der Fahrer nicht den Toten entdeckt hätte.
Lorinser gähnte verstohlen. Er beobachtete Hildebrandt, die noch immer neben sich zu stehen schien. Deren starr auf die Leiche gerichtete Augen, die mahlenden Kiefer und den verkniffenen Mund, der – wie er fand – eine Spur zu stark geschminkt war. Sie hatte ihn lediglich mit einem starren Lächeln und einer kalten Hand begrüßt und nur einen stummen Gruß genickt, ganz so, als hätte er sich eines Vergehens schuldig gemacht. Vielleicht litt sie aber auch nur unter ihrer am Vorabend geäußerten Fehleinschätzung und der Anweisung, den Fall auf Eis zu legen. Scheiß was drauf, hatte er sich mit einem innerlichen Achselzucken gesagt. Vielleicht war er deshalb so milde gestimmt, weil seine Gedanken noch immer bei Paula waren, bei ihrem Duft, ihrer warmen Haut, ihren Berührungen, die ihn trotz seiner Müdigkeit schon wieder erregten. Er hatte das Gefühl, die Landschaft und die darin wie auf einer Bühne festgefrorenen, in weißen Schutzanzügen steckenden Figuren hinter einer dicken Scheibe zu sehen. Was ihm fehlte, war eine Tasse starken, dampfenden Kaffees. Danach würde sich nicht nur die Scheibe, sondern auch der morgendliche Dunst über den Feldern in ein Nichts auflösen. Nicht jedoch der eisige Wind, der von KHK Hildebrandt her wehte, fürchtete er. Trotz des strafenden Blicks seiner Vorgesetzten zündete er sich als Kaffee-Ersatz eine Zigarette an.
Der Trecker rollte rückwärts in Richtung der Weide, drehte nach rechts und kam mit der am Seil hin- und herschwankenden Leicheneben der offenen Güllegrube zum Stehen. Der Fahrer senkte den Ausleger. Der Körper fiel unsanft auf den Beton. Ein lautes Rülpsen klang auf, als sich Magengase in der Leiche lösten und die Plastiktüte blähten. Steinbrecher trat vor und löste den Haken von der Schlinge, mit denen die Knöchel des Toten gebunden waren.
Hildebrandt bückte sich nach dem Wasserschlauch.
»Lassen Sie mal«, sagte Bossen und ging in die Knie. Mit einem Ruck drehte er den Hebel des Plastikventils. Sprühend schoss Wasser aus der Mündung, platschte knatternd auf die Plastiktüte und wusch den darauf gedruckten Schriftzug frei: »Fleisch ist Leben!«
Na ja, sagte sich Lorinser und fragte sich, wer da von den Kollegen den Wahrsager gespielt hatte. So viel auch dafür sprach, es war noch nicht heraus, ob die Plastiktüte tatsächlich das Gesicht Thorstens Böses verhüllte.
Steinbrecher fotografierte. Hildebrandt streifte Latexhandschuhe über. Auf dem asphaltierten Feldweg tauchte ein grauer Lieferwagen auf und stoppte wenig später neben dem noch immer bullernden Trecker. Bossen spülte die Gülleplacken in die Grube und drehte danach das Wasser ab. Auf dem Dach der Remise landeten die ersten Krähen und krächzten sich aufgeregt ihre Einschätzungen der Lage zu, in den schwarz glänzenden Augen die Hoffnung, von dem riesigen Leckerbissen, den die weißen Gestalten erbeutet hatten, könnte am Ende auch für sie etwas abfallen.
Lorinser hoffte, dass Hildebrandt an die Sicherung möglicher Reifenspuren gedacht hatte. Die dafür nötigen Abgussutensilien entdeckte er allerdings nicht.
Dem Lieferwagen entstieg ein älterer weißhaariger Herr, der seine Brille lüftete und gegen das Sonnenlicht hielt. Nicht ganz zufrieden mit dem Ergebnis setzte er sie wieder auf, öffnete die Seitentür und verschwand im Inneren. Als er wieder zum Vorschein kam, trug er Plastiküberschuhe und einen weißen Overall. Vom Heck des Wagens schleppte ein etwa dreißigjähriger gedrungener Glatzkopf zwei Koffer
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