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Bitteres Blut

Bitteres Blut

Titel: Bitteres Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Voss
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gleich drei Mal hintereinander »Now the time is half past three, folks!«. Die roten Augen begannen zu flackern und mit einem geradezu bösartigen Kichern, wie Lorinser fand, endete das nervtötende Spektakel. Aber es war nicht die Uhr, die ihn bereits zum zweiten Mal aus unruhigem Schlaf gerissen hatte, es war einer jener Güterzüge, die nur wenige hundert Meter entfernt mit ihrem ratternden Beat die nächtliche Stille und die Träume der Schlafenden zerschlugen.
    Paulas Kopf ruhte an seinem Hals. Ihr warmer Atem wehte an seine Brust. Die linke Hand lag eingeklemmt zwischen seinen Schenkeln und ihr rechtes Knie schmiegte sich wie ein noch im Schlaf aktiver Überwachungssensor der Lust in das Dreieck seiner Scham. Dabei hatte sie ihn kühl mit einem eher verschreckten als erfreuten »Heiliger Bimbam« in ihrem kleinen Backsteinhaus empfangen, in einer Weise, als bereute sie bereits, ihn eingeladen zu haben. Zögerlich, mit den Händen hektisch den Weg weisend, hatte sie ihn in die nach verbranntem Öl riechende Werkstatt geführt, der noch fauchenden Esse die Luft abgedreht und ihm »meine Elaborate«, wie sie es nannte, mit der Verlegenheit eines Menschen präsentiert, der sehr genau weiß, dass zwischen seinen Ansprüchen und der Wirklichkeit Welten liegen. Aber es waren geradezu meisterlich geformte Figuren, kraftvoll die Posen, sorgsam herausgearbeitet die Details. Skulpturen, die trotz ihrer abstrakten Strukturen verblüffend lebendig erschienen.
    »Ich bin beeindruckt.«
    »Und ich muss dich leider enttäuschen.«
    »Musst du?«
    »Das Kranichpärchen«, sagte sie und deutete auf die auf einem Stahltisch stehenden gut eineinhalb Meter hohen Vögel, »konnte ich leider noch nicht für deine Blumentöpfe umbauen. Zu große Füße, verstehst du? Außerdem ist das Gas für den Schweißbrenner alle, und dann ist vorhin mein letztes Sägeblatt zerbrochen.«
    »Um ehrlich zu sein …«
    »Tut mir leid, wenn ich dich enttäuscht habe«, unterbrach sie ihn, »aber ich verspreche dir, dass ich morgen Mittag fertig bin. Ich habe dir auch einen Sonderpreis gemacht.«
    Sie nahm eine weiße Karte vom Tisch und reichte sie ihm. 17.900 Euro las Lorinser. Nicht nur die Summe, die in etwa seinem Jahresgehalt entsprach, jagte das blanke Entsetzen in ihm hoch. Mehr noch brachte ihre durch nichts zu rechtfertigende Unterstellung, er habe den Kauf der Skulptur fest zugesagt, sein Blut in Wallung.
    »Also«, wehrte er ab, »ich weiß nicht, wie du auf die Idee kommst …«
    »… dir das gute Stück mehr oder weniger zu schenken?« Ihr Zeigefinger berührte seine Nasenspitze. »Die reine Sympathie, mein Lieber. Die reine Sympathie! Oder was denkst du?«
    Erst als ihr Gesicht vor Freude erblühte, ihr Gelächter den Raum erfüllte und in ihren Riesenaugen dieses spitzbübische Glitzern erschien, begriff er, dass sie ihm eine Rolle vorgespielt und ihn schlichtweg auf die Schippe genommen hatte. Später, als der Wein wirkte und aus dem lockeren Geplauder erotisches Vorspiel geworden war, überraschte sie ihn erneut.
    »Um dir eine Chance zur Flucht zu geben«, sagte sie mit einer Selbstverständlichkeit, als spräche sie über das Wetter, »muss ich dir sagen, dass ich im Bett ein wenig neben der Schienennorm der Bundesbahn liege. Ich brauche Licht. Ich mag keine Gardinen vor dem Fenster, weil mich der Gedanke, da draußen Zuschauer zu haben, wunderbar anturnt. Nenne es von mir aus die Paula-Variante des Exhibitionismus. Ich brauche das, um in Fahrt zu kommen. Aber das ist nicht alles. Ich brauche obendrein das Gefühl, dich zu beherrschen. Nein, nein«, verhinderte sie seinenEinwand, »keine Handschellen und Ketten, weder Gummi noch Peitsche oder blöde Hühahotte-Spielchen mit Tittensärgen aus Latex oder Leder, nur deine absolute Passivität und geschlossene Augen. Ich möchte, dass du geschehen und mich machen lässt.«
    »Ich hoffe, ohne chirurgische Instrumente.«
    »Keine Hilfsmittel, keine Instrumente. Selbst Kondome, solltest du sie vorsichtshalber eingepackt haben, kannst du in der Tasche lassen. Insoweit bin ich ganz Mutter Natur. Und das nur für die Startphase von vielleicht zwanzig Minuten.« Sie biss sich auf die Lippen, neigte den Kopf zur Seite und blickte ihn aus schmalen Augen an. »Was sagst du? Flucht oder Standhalten?«
    Flucht wäre Verrat an seinen vibrierenden Lenden gewesen. Das Standhalten entpuppte sich nicht nur als neue Erfahrung, sondern als Offenbarung. Auf dem Rücken liegend, zunächst erwartend,

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