Bitteres Blut
dann vollkommen entspannt, die Augen geschlossen, hatte er ihren warmen Körper, ihren suchenden und findenden Mund, ihre geradezu magischen Hände mit einer nie erlebten Intensität genossen. Mit dem Gefühl, sich aufzulösen, einzufließen in ein Etwas, für das er keinen Namen wusste, hatte sich seine Sehnsucht nach Erlösung in immer kürzer werdenden Intervallen bis zur Unerträglichkeit gesteigert. Bis sie ihn endlich aufnahm und in ihm das Empfinden auslöste, Teil ihres Atems, ihres Schweißes, ihrer spitzen Schreie, ihrer rhythmischen Bewegungen und ihres Körpers zu sein: Flüsse, die sich zu einem kochenden Strom der Lust und der Befreiung vereinigten.
Er fühlte sich erlöst und gut. Als er seine Blase entleert hatte, noch besser, wenngleich in seinem Kopf schon wieder die Bilder des gehenkten Böse flackerten. Katta, der es trotz mancher versteckter Schmerzensseufzer nach eigener Aussage bedeutend besser ging, hatte mit ihrem gelungenen Rinderbraten und dem fein mit Äpfeln und Zimt abgestimmten Rotkohl eine Art von Erinnerungsfestival heraufbeschworen. Vater, Mutter, Nachbarn und Freunde, eine Menge von dem Zeug, das ihnen gemeinsam war. Der Freund, der bei dem leichtsinnig inszenierten Banküberfall von einem übereifrigen Polizisten per Kopfschuss umgebracht worden war. Notwehr, hatte es geheißen, obwohl die aus der Blutlache herausgefischte Waffe sich als Spielzeugpistole entpuppt hatte und der Überfall einer jener irrsinnigen Mutproben gewesen war, die sie in ihrer Sucht nach neuen Reizen immer wieder ausgeheckt hatten. Der in seinem Kopf für alle Zeiten weggesperrte, jedoch immer wiederkehrende Albtraum.
Paulas warme Hand berührte sein Gesicht. »Du bist wach?«
»Ja, wegen der Güterzüge«, sagte er. »Und dann noch dein blödes Wildschwein.«
»Ich erlaube dir, es in die Badewanne zu schmeißen. Da ist noch dein Wasser drin.« Sie rückte näher an ihn heran, schmiegte sich an ihn und schlief wieder ein.
Lorinser hörte das ferne Rattern eines Zuges. Dennoch schloss er die Augen. Konnte ja sein, dass der Albtraum ihn während des Rests der Nacht verschonte und die Zeit bis zum Vorbeifahren der nächsten Bahn reichte, sich an das Geräusch zu gewöhnen.
Dieses Mal war es das Telefon, das seinen Schlaf beendete. Er blickte verwirrt in den dämmerigen Raum, in dem nichts war, das ihm vertraut war, und entdeckte Paula, die mit einer grauen Männerhose in den Händen am Fußende des Bettes stand.
»Es klingelt«, sagte er benommen und richtete sich auf.
»In deiner Hose«, sagte sie, lachte auf und warf ihm das Kleidungsstück entgegen. Vivaldi im Radio und vom Nachttisch her grunzte triumphierend das Wildschwein. »Now the time is nine o’clock, folks«.
Zusammen mit einem zerquetschten Bündel Papiertaschentücher zog Lorinser das Handy aus der Tasche und meldete sich mit belegter Stimme.
»Wir haben ihn«, sagte Steinbrecher. »Den Böse. Sie fanden ihn in Lembruch.«
»Tot?«
»Mause. Liegt voll in der Scheiße. In einer Güllegrube.«
»Wenn das kein Omen ist!«
»Für Hildebrandt jedenfalls ein derber Schlag mitten ins Herz ihrer Arroganz. Du hättest ihr Gesicht sehen sollen, als sie die Meldung kriegte. Kein Hals mehr, so tief hing ihr Kinn. Wenn ich du wäre, würde ich Samthandschuhe anziehen.«
»Sag nicht, sie will mit!«
»Aber klar doch. Sie muss doch jetzt retten, was zu retten ist. – Wo kann ich dich aufsammeln?«
»Ich bin in zehn Minuten am Bahnhof«, sagte Lorinser, drückte ob der hildebrandtschen Niederlage nicht ohne Genugtuung die rote Taste und schlug die Decke zurück.
Paula blickte ihn mit gerunzelter Stirn an. »Das heißt also, mit unserem Frühstück wird es nichts?«
»Das verschieben wir auf heute Abend«, sagte er, drückte Paula einen Kuss auf den Mund und versuchte sich zu erinnern, wo er seine Wäsche abgelegt hatte.
Was da am Haken des Treckerauslegers hing, sah weder nach Jimmy Dean noch nach Thorsten Böse aus. Es war eine Art grauschwarzer Sack mit pendelnden Tentakeln, von dem in dicken Placken graugrüne Gülle platschte. Er hatte nackte Füße, trug eine ehemals weiße, von einem braunen Gürtel gehaltene Jeans und ein bis zu den Brustansätzen hochgerutschtes gelbes T-Shirt. Der Kopf steckte in einer weißen Plastiktüte, die am Hals mit rotgoldenem Dekorationsband zusammengeschnürt war. »Fleisch Leb« war in roter Kursivschrift in Höhe der Augen zu lesen.
»Und nu?«
KHK Hildebrandt, die in ein weißes Taschentuch atmete,
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