Bitteres Blut
Wiederherstellung meiner Ehre.«
»Des einen Not ist des anderen Glück, könnte man sagen.«
Kröger nickte unbeeindruckt. »Man sagt, das Leben sei ungerecht. Der Tod ist es noch mehr. Aber so sehr ich das Schicksal des Jungen bedaure, so wenig habe ich Anlass, darauf pietätvoll Rücksicht zu nehmen.«
»Ich kann mir vorstellen, dass Sie Wolfhardt Böse hassen.«
Kröger schien in sich hineinzuhorchen. Sanft schüttelte er den Kopf.
»Sie irren sich. Ich bin enttäuscht, aufgebracht und zornig gewesen. Bin es noch. Aber Hass?« Er schüttelte wieder den Kopf. »Nein. Auch ich muss damit rechnen, in absehbarer Zeit abberufen zu werden. Im Gegensatz zu Wolfhardt Böse glaube ich an diehöhere Instanz, die uns an unseren Taten messen wird. Ich habe mich stets bemüht, aufrecht und den mir anerzogenen ethischen Regeln entsprechend durchs Leben zu gehen. Ich hoffe, bei den Zurückbleibenden in gutem Angedenken zu verbleiben. Bei Böse ist das leider nicht der Fall. In meinen Augen ist der Mann hochgradig verrückt. Ich bin sicher, niemand in der Gegend wird ihm eine Träne nachweinen. Die Schweinereien, die er hier inszeniert hat, sind unvergessen. Das alles sitzt zu tief, die Ohnmacht, die Wut darüber, immer wieder übers Ohr gehauen worden zu sein. Bis weit nach dem Krieg, als er im Tross der Alliierten triumphierend zurückkehrte, als es den Leuten schlecht ging, er aber alles besaß: Naturalien, Benzin, Autos und Geld im Überfluss, und obendrein seine engen Beziehungen zu den Engländern gnadenlos gegen seine Landsleute ausnutzte. Er lebte wie die Made im Speck. Damals residierte er noch auf dem Gut, das seinem jetzigen Haus gegenüberliegt. Gerierte sich wie ein König, ach, was sage ich, wie Gottvater selbst! Das riesige Herrenhaus mit allem Komfort, Gesinde, das sich für ihn die Hacken ablief. Sein erstes perfides Spiel: Er gab vor, dass es nach dem Nazischrecken Zeit zur Versöhnung sei, zeigte sich von seiner charmanten, seiner freundlichen Seite, stellte Beziehungen und Hilfen in Aussicht, lud zum Versöhnungsfest auf sein damals noch nicht verfallenes Gut. Selbstverständlich kamen sie alle. Nur die Männer natürlich. Frauen lud er nicht ein, die hat er ja nie an sich herangelassen. Die Bauern, die Geschäftsleute, die Beamten und was Rang und Namen in der Gegend hatte. Böse fuhr ganz groß auf. Schampus und Schnaps, Zigaretten, Zigarren, Fisch, Fleisch, all die Herrlichkeiten, von denen man gar nicht mehr ahnte, dass es sie gab. Mädchen. Ein ganzes Dutzend hatte er aus Bremen herbringen lassen, alle Bordsteinschwalben, die froh waren, Valuta in die Hand gedrückt zu bekommen und sich mal richtig satt essen zu können. Und Strichjungen natürlich. Für die Herren mit den besonderen Neigungen. Der Alkohol floss in Strömen und … tja, das reinste Bacchanal, das Gottvater da im Gewand des Friedensengels sorgsam inszeniert hatte. Aber eines, das nach kurzer Zeit ein verheerendes Erdbeben in der Gegend auslöste.«
Lorinser blickte ihn fragend an. Kröger lehnte sich zurück. Seine Rechte beschrieb einen Kreis und deutete auf die Fensterreihe.
»Die Stricher, die Nutten, die waren alle verseucht. Tripper, Lues und was die sonst noch an Krankheiten hatten. Böse hat sie sozusagen handverlesen nach diesem Gesichtspunkt ausgewählt und auf die Gäste angesetzt. Hier herrschte der pure Notstand unter den Leuten. Ehefrauen, Mädchen, die ganze Gegend war nach einiger Zeit infiziert, und das in einer Zeit, als Penicillin Mangelware war. Ein Desaster, sage ich Ihnen. Ich bin noch heute dankbar, nicht zu seinen Gästen gehört zu haben.«
»Woher wissen Sie, dass er vorsätzlich gehandelt hat?«
»Er hat’s höhnisch eingestanden, als die Seuchenwelle hochschwappte und der große Run aufs Penicillin begann. Natürlich war in den Familien der Teufel los. Stellen Sie sich mal die Folgen vor! Fünfzig, sechzig Männer, die mit verbogenen Pinseln die Lustseuche verbreiten! Kurz danach brannte eines seiner Autos ab. Mich hätte es nicht überrascht, wenn ihm der Schädel eingeschlagen worden wäre.«
Steinbrecher kicherte verhalten in sich hinein.
»Damals«, sagte Kröger mit zornbebender Stimme, »war keinem zum Lachen zumute. Diese Bedenkenlosigkeit der Wahl der Mittel! Diese Unversöhnlichkeit! Sie hatten ja alle ihr schlechtes Gewissen, sie waren bereit, den Preis mit oder ohne Anstand zu bezahlen, aber … aber diese Demütigung zu verzeihen, war niemandem möglich, zumal es ja nicht die einzige
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