Bitteres Blut
Verstehst du?«
»Nicht wirklich«, sagte Lorinser und schob den Schlüssel ins Zündschloss.
»Wie Menschen wirklich sind, erkennst du ganz klar an ihrem Gang. Beobachte das mal! Da gibt’s die Schleicher, die Zögerlichen, die Eindeutigen und was weiß ich noch alles – und Typen wie Kröger, die rücksichtslos alles niederwalzen, was sich ihnen in den Weg stellt. Glaub mir, er ist so einer. Ich jedenfalls nehme ihm den frommen Pilger nicht ab. Irgendwas, das fühl ich, stimmt mit ihm nicht.«
»Wahrscheinlich die Konsistenz seines Knorpels«, sagte Lorinser und sandte in der Hoffnung, dass der Motor ansprang, ein Stoßgebet in Richtung Wolken.
»Und jetzt?«
»Und jetzt«, sagte Lorinser, im Ohr die mahnende Ansprache Timmermans »jetzt habe ich in dir für den Fall einer weiteren Beschwerde einen hoffentlich unbestechlichen Zeugen. Wir besuchen die ungehemmt knospende Madame Simmerau.«
Steinbrecher im Schlepptau näherte er sich dem gar nicht der Landschaft angepassten Halbhaus, im Bauch das bange Gefühl, einoffenes Raubtiergehege zu betreten. Die trüben Fischaugenfenster in der grellweißen Fassade erschienen ihm heute wie Spiegel, durch die man beobachten, aber nicht hindurchsehen konnte. Über Buchs, Rasen und Kirschlorbeer sprühten klackernde Regner Wasser. Sanft fließende Bäche suchten sich ihren Weg über das Verbundsteinpflaster. Im Schatten des Carports parkte neben einem violetten, mit Aufklebern übersäten Fiesta ein tiefschwarz lackierter Opel Kapitän aus den Tagen des Schwarz-Weiß-Fernsehens. Angesichts der eher barocken Formen, des Chroms und der Weißwandreifen drängte sich in der Tat der von Olli Kröger beschworene Eindruck einer Kathedrale auf. Lorinser ahnte, dass Moritz Simmerau, wenn es sich denn um dessen Fahrzeug handelte, eine Menge Zeit und obendrein ein Vermögen in die Restauration gesteckt hatte. Als Kronprinz besaß er wohl auch die entsprechenden Mittel.
Über der Klingel blinzelte das Objektiv einer Kamera. Entferntes Glockenspiel. Im Schlitz des Postkastens eine Pferdesportzeitschrift. Hundegebell. Ein schwarzer Schatten hinter dem rauchfarbenen Glas der Haustür, die nach einigen Sekunden nur einen Spalt weit aufgezogen wurde. Lange, blond gefärbte Haare, ein schmales, hübsches, aber auch leidendes Gesicht, aus dem unter dünnen, dunklen Brauen empörte Blauaugen auf die Besucher starrten, wohl aber den Labrador meinten, der, energisch am Halsband gehalten, ungestüm zwischen ihren nackten Beinen nach draußen drängte.
»Aber Platz jetzt, Aisha!«, erklang scharf eine männliche Stimme aus dem Inneren des Hauses. Der Hund duckte sich und verschwand. »Sie ist gar nicht böse, sie will nur spielen«, entschuldigte sich die etwa dreißigjährige Frau, die genau dem Rühr-mich-nicht-an-Bild entsprach, das Olli Kröger von Melanie Simmerau gezeichnet hatte. Ein Persönchen mit grauem Gesicht, flachem Busen unter dem blauen T-Shirt und mit Narben überzogenen Beinen, die an Brandmale erinnerten.
»Nein, meine Mutter isch noch beim Einkaufe«, sagte sie in breitem Badisch, als Lorinser Steinbrecher und sich ausgewiesenhatte. »Aber sie müsst jeden Augenblick komme. Es geht wohl um Thorsten, gell?« Ein kurzes Zögern. »Isch er … habe Sie ihn gefunde?«
»Dürfen wir hereinkommen?«
Melanie stieß mit der Hüfte die Tür auf. »Bitte«, sagte sie und trat zur Seite.
Schwarzer Granit, im Wechsel poliert und matt, zog sich schachbrettartig über den Boden der großen Halle, die von einem mächtigen Glastisch, um den hohe, dunkelbraune Korbstühle gruppiert waren, und einem weißen, schmucklosen Kunststeinkamin beherrscht wurde. An den Wänden gedruckte Kandinskis und Mirós hinter spiegelndem Glas. Über dem Tisch hing ein von schweren Ketten gehaltenes, abgebeiztes und mit Klarlack behandeltes Kutschrad, auf dem auf antik getrimmte elektrische Kerzen leuchtend weiß paradierten. Rechts ein Durchgang, der in eine offene Küche mündete. In der trockenen Luft hing der Geruch parfümierter Putzmittel. Das stilistische Chaos, mehr noch jedoch der Eindruck, die Möbel und Dekorationsstücke seien lediglich zur Ansicht ausgestellt, ließen Lorinser frösteln. Auch Steinbrecher zog den Hals zwischen die Schultern, als wollte er sich vor einem eiskalten Hauch schützen.
Melanie schloss die Haustür und führte die beiden Beamten wiegenden Schrittes an einer stählernen Treppe und einem mit Porzellan voll gestellten, mahagonifarbenen Sideboard vorbei in einen
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